Showbiz vor 60 Jahren

Menschen, Tiere, Sensationen

Die Zeiten der kleinen Wanderschausteller, die sich bei uns am Seeende ein kleines Einkommen versprachen, sind vorbei. Viele ihrer Vorführungen sind längst keine Sensationen oder Raritäten mehr. Das meiste davon ist jeder Zeit und ohne allzu großen Aufwand zu haben, ja manches gehört bereits zum eigenen Inventar. Man hätte heute auch nicht die Geduld, darauf zu warten, bis sie endlich mal wieder wie aus dem Nichts auftauchen, um die Alltagsroutine mit kleinen Sensationen zu beleben.

Wer zuhause ein Trampolin hat -und das sind inzwischen nicht wenige- braucht nicht auf eine Hüpfburg beim Dorffest zu warten. Mit einer „slackline“ kann man sich selbst in Akrobatik versuchen. Und wer exotische Tiere aus nächster Nähe erleben möchte, fährt nach Uhldingen ins Reptilienhaus, nach Salem auf den Affenberg, nach Airach zur Straußenfarm oder nach Konstanz ins Sealife-Center.

Anders vor 60 Jahren. Der ständige Tierpark vor unserer Haustüre erschien uns nicht sehr spektakulär. Er bestand ja nur aus gewöhnlichen Hunden, Katzen und Kaninchen, Hühnern, Enten, Gänsen und Truthähnen, Pferden, Kühen, Schweinen und Ziegen, Bienen, Wespen und Hornissen, also nichts, was uns damals in Aufregung versetzt hätte. Heute verlangt der Haustierhof in der Reutemühle für eine solche Erlebniswelt Eintritt. Dennoch gab es ein paar wenige Highlights in unserem Ereigniskalender, wie zum Beispiel die Wanderschäfer, die im Winter mit ihren riesigen Schafherden, zwei-drei gelehrigen Hunden und manchmal auch einem Esel durch die Lande zogen. Mitunter sorgte im Sommer auch eine aufgeschreckte Ringelnatter im Strandbad für Furore.

Foto aus dem Internet

Vor der Zeit des ständig verfügbaren Vergnügens hieß es daher abwarten, bis endlich mal wieder Wanderschausteller ins Dorf kamen. Das ereignete sich zwar selten, war aber deshalb umso einprägsamer.

Mit dem Motorrad zur Kirchturmspitze

Als einmal von einem der oberen Kirchturmfenster über das Dach der Krone bis zum alten Rat- und Schulhaus ein Drahtseil gespannt wurde, ahnten wir schon, dass uns etwas Außergewöhnliches erwartete. Hochseilartisten bereiteten ihr Spektakel vor. Wenig später hatte sich das ganze Dorf auf dem Schulhof versammelt und bald schon balancierten die Akrobaten das Seil hinauf und hinunter. Der Höhepunkt der Vorführung war ein auf dem Seil platziertes Motorrad, das mit ungedämpftem Auspuff die steile Strecke bewältigte.

Fotomontage

Vermutlich handelte es sich bei der Artistengruppe um die Familie Trabert aus der badisch-elsässischen Gegend, der bereits im Jahre 1512 vom Landgrafen des Elsass das Auftreten und Umherziehen im Lande genehmigt worden war und die seit dem Jahr 1799 ununterbrochen Hochseilartistik präsentiert.

Eine Würgeschlange im Klassenzimmer

Wie auf dem Titelbild zu sehen ist, war es der männlichen Jugend aus der achten Klasse vergönnt, Bekanntschaft mit einer Königsboa zu machen. Während dessen hatte ein freilaufendes Stachelschwein das Klassenzimmer inspiziert und ein Papagei versucht, sich verständlich zu machen. Andernorts konnte man sich von einem Schimpansen den Nacken massieren lassen. Das verlangte Mut, verursachte Gänsehaut und beflügelte die kindlichen Tarzanfantasien.


Der parfümierte Walfisch

In Stockach machte einst der präparierte Finnwal „Jonas“ Station. Er tourte auf einem Sattelschlepper durch Deutschland und wurde als «grösstes Tier der Welt» und «einmalige naturkundliche Sehenswürdigkeit» angepriesen. Um von dem starken Formalingeruch abzulenken und jenen Schauder hervorzurufen, der das Ereignis in alle Ewigkeit in der Erinnerung der Besucher verankerte, wurde der Kadaver offenbar regelmässig mit einer stinkenden Mischung besprüht.

Nicht wenige „Häfler“ und „Bobmer“ machten sich damals auf den Weg nach „Stocken“ und wetteiferten wahrscheinlich mit anderen Schaulustigen um die besten Plätze, wie man es sich anhand dieser Ansichtskarte vorstellen kann. Denn was wusste man schon von einem Walfisch? Wohl nicht viel mehr, als dass es ihn gibt und er gigantisch sein musste.

Schießen und schaukeln im Schlösslegarten

Dort, wo heute das Atelier-Haus von Siegi Treuter steht, dem einstigen Rathaus von Ludwigshafen in zweiter Auflage, befand sich früher eine Mauer mit einem eisernen Tor, das Zutritt zu einer großen Wiese gewährte, die sich bis zum Schlössle erstreckte. Hier gastierte gelegentlich ein kleiner „Rummelplatz“, der außer einer Schiffschaukel und einer Schießbude wohl nicht sehr viel mehr zu bieten hatte. Aber damals reichte das für ein ausgiebiges Vergnügen.

Fotos aus dem Internet

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