Sau oder Monstranz


Der bäuerliche Konflikt mit dem Dritten Gebot Gottes

Vor 60 Jahren wäre ein Landwirt, den der Pfarrer an Fronleichnam beim Heuwenden erwischt hätte, wie heuer zu beobachten war, wohl augenblicklich exkommuniziert worden. Bauern, die an gewöhnlichen Sonntagen Feldarbeit verrichten wollten, mussten beim Pfarrer die Absolution erbitten.

Der Pfarrer, der uns zur damaligen Zeit in Ludwigshafen in die christliche Religion und die katholische Glaubenswelt einführte, war noch aus wirklich ganz altem Holz geschnitzt. Den Wandel vom Alten zum Neuen Testament, also von einem zornigen Gott, der auch mal Gnade walten ließ, hin zu einem gnädigen Gott, der auch mal zornig werden konnte, schien er nicht vollzogen zu haben. Für jedes Vergehen und jede Sünde hatte er eine bildreiche Geschichte auf Lager, in der Gott als gadenloser Richter und grausamer Rächer auftrat. Er tricherte uns Kindern ein, dass wer eine Todsünde beginge und stürbe, ohne sie gebeichtet zu haben, geradewegs zur Hölle führe und der ewigen Verdammnis anheim fiele.

Das Fernbleiben vom Sonntagsgottesdienst und schlimmer noch, das Arbeiten am Tage des Herrn, war eine dieser Todsünden. Es stellt einen Verstoß gegen das Dritte Gebot Gottes dar, das in jüngerer und prägnanter Formulierung lautet: „Du sollst den Feiertag heiligen.“

Dagegen klingt eine von vielen Übersetzungen der entsprechenden Textstelle im 2. Buch Moses um vieles dramatischer:  „Beachtet also den Sabbat! Er soll euch ein heiliger Tag sein. Sechs Tage in der Woche sollt ihr eure Arbeit tun. Der siebte Tag aber ist der Ruhetag, der mir gehört. Wer an diesem Tag irgendeine Arbeit tut und ihn dadurch entweiht, muss mit dem Tod bestraft werden. Ein solcher Mensch hat sein Leben verwirkt und soll aus seinem Volk ausgerottet werden.

In diesem Geiste behandelte der Pfarrer diese göttliche Vorschrift und knüpfte sich im Religionsunterricht die Sprösslinge der Bauern vor, damit sie entsprechend auf ihre Eltern einwirken und später möglichst selbst nicht zu Frevlern am 3. Gebot werden sollten. Nur wenige Kinder aus bäuerlichen Familien wagten es, sich mit dem fanatischen Kirchenmann auf ein Streitgespräch einzulassen, um zu rechtfertigen, dass das Heu angesichts eines drohenden Gewitters eingefahren oder die reifen Kirschen gepflückt werden mussten. Denn war es etwa nicht auch ein sündhaftes Vergehen, die Gaben des Herrn verkommen und das Vieh hungern zu lassen?

Verstöße gegen die Gebote Gottes und der Ungehorsam gegen die Vorschriften der katholischen Kirche wurden im 17. Jahrhundert am Seeende nicht nur auf dem Wege von Beichte und Bußgebet geregelt. In der von Markgraf  Ludwig Wilhelm am 25. Oktober 1625 erlassenen badischen Polizei- und Kirchenordnung werden detailliert Geldstrafen aufgelistet, die an die Kirche zu leisten waren.

Den sonntäglichen Gottesdienst zu versäumen oder ihm verspätet beizuwohnen wurde mit unter­schiedlichem Strafmaß geahndet, je nachdem wie und wann sich das Vergehen ereignete. Wer nicht erschien, zahlte 10 Schilling. Wer nach dem Evangelium auftauchte, zahlte nur 5 Schilling. Am teuersten war es, sich der Predigt zu entziehen. Das kostete 15 Schilling.
Aktivitäten, die an Sonntagen untersagt waren, waren mannigfaltig und nicht nur auf die Arbeit auf dem Feld beschränkt. Dem Tag des Herrn sollte durch absoluten gesellschaftlichen Stillstand gehuldigt werden. Mit 10 Schilling oder einem Tag und einer Nacht im Turm wurde geahndet, wer Handel oder Handwerk ausübte, tanzte, spielte, zechte, unnütz vor der Kirche herumsaß, unnütz schwätzte und umherstreifte.

Es darf angenommen werden, dass es das Ziel dieses Erlasses war, nicht nur die Gottesfurcht und den kirchlichen Gehorsam zu steigern, sondern auch die Kirchenkasse zu füllen.

Sau oder Montranz

Dass im Konfliktfall die Bauern ihrem eigenen Wertesystem folgten, das darauf beruhte, die Gaben und Geschöpfe Gottes zu ehren und die im Schweiße seines Angesichtes erzeugten Güter nicht gering zu schätzen, erfuhr ein junger, damals zwanzigjähriger Landwirt aus Ludwigshafen in der Nachbargemeinde Espasingen auf eindrucksvolle und kuriose Weise.

Er war mit seiner rassligen (rauschigen/paarungsbereiten) Sau auf dem Anhänger ins Nachbardorf gefahren, um die Dienste eines Zuchtebers in Anspruch zu nehmen, der dort seinen Dienst versah. Dabei stieß er unvermittelt auf eine Flurprozession. Um sie nicht zu stören, versuchte er, ihr durch ein spontanes und waghalsiges Manöver auszuweichen, indem er in letzter Sekunde das Steuer herumriss, um in eine andere Straße einzubiegen.

Allein die Fliehkräfte waren zu stark und der Schwerpunkt zu hoch. Der Anhänger kippte, die Sau entsprang unverletzt ihrem Gatter und und lief der Prozession entgegen. Unaufgefordert und ohne zu zögern machten sich mehrere Prozessionsteilnehmer daran, das Tier zusammen mit dem Leidtragenden wieder einzufangen. Pfarrer und Prozession hielten solange inne bis die Aktion erfolgreich abgeschlossen war und setzten erst dann ihren Gottesdienst wieder fort. Der Zorn Gottes, wie er von besagtem Pfarrer gewiss progonostiziert worden wäre, blieb aus. Daher müsste der Titel der Geschichte eigentlich lauten „Sau und Monstranz“ und nicht „Sau oder Monstranz„, denn beide Anliegen ließen sich in diesem Falle konfliktfrei miteinander vereinbaren.

Wie sollten auch ein gesunder Menschenverstand, Hilfsbereitschaft und ein Herz auf dem rechten Fleck im Widerspruch zum göttlichen Willen stehen.

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