Die „Villa Lhotzky“ bildet das Kernstück der Evangelischen Jugendbildungsstätte am Ortsrand von Ludwigshafen. Wie der Umwelterklärung der Einrichtung von 2018 zu entnehmen ist, umfasst das 3 ha große Gelände heute 5 Gebäude: Drei Unterkunftsgebäude mit insgesamt 74 Gästebetten, einen großen Speisesaal sowie einen Raum der Stille. Seit 1974 wird es von der Evangelischen Landeskirche in Baden als Gäste- und Tagungshaus betrieben. Es bietet in einer parkähnlichen Anlage mit Wiesengelände, Waldstücken, Wegen, Spielgelände und Grillplätzen vorwiegend jungen Menschen die Möglichkeit in einer entspannten Atmosphäre an Schulungen und gruppendynamischen Prozessen teilzunehmen.
Das Anwesen ist, kurz gefasst, ein Ort der Bildung und Begegnung.
Wir lesen in der o.e. Umwelterklärung weiter, dass dort jährlich ca. 3.000 Gäste beherbergt werden, was rund 10.000 – 11.000 Übernachtungen entspricht. Besonders im Sommer sieht man häufig Jugendgruppen die Radolfzellerstraße entlang ins Dorf oder zum Bahnhof und wieder zurück marschieren. Jugendliche aus dem Ort machen sich nicht mehr auf den Weg zum „Evangelischen Jugendheim“, wie die Ev. Jugendbildungsstätte bei uns Einheimischen heißt.
Das war anders in den 1960er Jahren, als Grundstück und Gebäude von 1951 bis 1969 vom selben Eigentümer als Mädchen-Internatsschule (Heim- und Haushaltsschule) betrieben wurde. Besonders die männliche Dorfjugend zeigte größtes Interesse an der einstigen „Villa Lhotzky“. Ihr schwebte schon damals die Idee einer Begegnungsstätte vor, wenn auch mit einer anderen Ziesetzung und sehr zum Leidwesen der Anstaltsleiterin.
Die große Auswahl an Vertreterinnen des anderen Geschlechts führte bei manchen von ihnen zu einer starken erotischen Unruhe und weckte Begierde. Doch, wie an die gut behüteten Mädchen herankommen, selbst wenn sie einer Kontaktaufnahme mit den Jungs aus dem Dorf nicht immer abgeneigt waren? Die Häfler Burschenschaft versuchte alles, um einen Blick auf die Mädchen in ihren Schlafzimmern zu erhaschen und bestenfalls mit ihnen anzubandeln. Ein herrschaftlicher Baum vor der Villa bot dafür gute Voraussetzungen. Weit geöffnete Fenster erleichterten den Einblick. Doch auf Seiten der Heimleitung hielt man tapfer dagegen, um dies unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu verhindern. Der Kletterbaum wurde eingefettet und mit Stacheldraht umwickelt, um den Aufstieg zur „Aussichtsplattform“ zu erschweren. Nicht selten musste sogar der Dorfpolizist anrücken. Ein spannendes und höchst kreatives Katz und Maus Spiel zwischen den Ordnungskräften und den Unruhestiftern war die Folge, woran sich einige ältere Herren heute noch genüßlich erinnern. Einer, so wird erzählt, der sich mit seinem Auto in den Hof des Anwesens gewagt hatte, hätte einen kapitalen Schaden am Unterboden seines Fahrzeug hinnehmen müssen, als er bei seiner überhasteten Flucht den weit über den Boden ragenden Torstopper in der Wegmitte übersah.
Einige der Mädchen suchten hernach im Ort von Haus zu Haus nach ihren „Lovern“, die aus Vorsicht nicht ihre kompletten Kontaktdaten zurückgelassen hatten.
Bevor das „Haus Lhotzky“ nach dem Krieg in den Besitz der evangelischen Landeskirche überging, gehörte es der Maschinenfabrik Fahr Gottmadingen/Stockach, die es ab 1942 als Ferien- und Schulungsheim für die Betriebsgemeinschaft und Gefolgschaftsmitglieder ausbaute und betrieb. Noch heute erinnern sich Bürger unserer Gemeinde an die Bezeichnung „Fahrheim“.
Die Bärte einiger Bauarbeiter, die auf dem Foto zu sehen sind, geben Grund zu der Annahme, dass bei den Renovierungs- und Umgestaltungsarbeiten der Firma Fahr in den 1940er Jahren auch Zwangsarbeiter aus Serbien herangezogen wurden.
Im November 1935 stellte eine Frau Martha Schukany aus Bodman ein „Gesuch zur Erteilung der Erlaubnis zum Ausschank alkoholfreier Getränke“. Daher ist davon auszugehen, dass sie es war, die vor der Firma Fahr die Villa Lhotzky als Pension unter dem Namen „Haus Schukany“ führte. Wie die Werbebroschüre zu erkennen gibt, dachte man damals „groß“. Die Anfahrtsskizze rund um Bodman reicht von Hamburg über Amsterdam, Köln, Straßburg bis nach Genf und Zürich, und von München über Dresden bis nach Stettin.
Gebaut wurde die Villa von Heinrich Lhotzky, der 1910 von München nach Kleinbodman übersiedelte. Sie diente seiner 11-köpfigen Familie und dem Dienstpersonal als Wohnhaus wie auch als Verlag zum Vertrieb seiner eigenen Bücher und Zeitschriften.
Als Lhotzky im November 1930 starb, konnte seine Witwe weder den Verlag weiterführen, noch das Haus halten. Für 50.000 Mark wechselten Villa und Anwesen im August 1933 den Besitzer.
Lhotzky produzierte viel. Einige seiner Bücher erzielten hohe Auflagen, die in die Zehntausende gingen. Wegen seines Reichtums und weil er vermutlich auch nicht in der Kirche des Ortes gesehen wurde, hielten ihn seine Zeitgenossen für einen „Juden“. Diese Vermutung hat sich bei älteren Ludwigshäflern bis heute erhalten.
Aber dem war nicht so. Lhotzky wurde als evangelischer Christ geboren, studierte u.a. Theologie und arbeitete in frühen Jahren eine Zeit lang als Pfarrer. Später wandte er sich jedoch vom Christentum ab und frönte schließlich einem völkischen Heidentum. Viele seiner Schriften waren durchdrungen von einem radikalen nationalistisch-völkischen und antisemitischen Gedankengut, so daß er als Vordenker der völkischen Religion des Nationalsozialismus gelten kann, dem er seit 1920 deutliche Sympathien entgegenbrachte.