St. Anna Kapelle – gebaut aus Dankbarkeit

Der Standort der St. Anna Kapelle befindet sich, gewissermaßen auf einer Verkehrsinsel zwischen der viel befahrenen Radolfzellerstraße, der Kronbühlstraße und dem Friedhof. Bei ihrer Erbauung im Jahre 1734 stand sie weit ab von der Ortsmitte der Gemeinde und trotzte in den letzten 287 Jahren allen Veränderungen und Erweiterungen um sie herum. Standhaft ertrug sie Straßenverbreiterungen, Rohrdurchbrüche zum See, Neubaugebiete, Anreihung von Verkehrsschildern und auch Nutzungsänderungen ihrer selbst.

Die Heilige Anna Kapelle in Ludwigshafen wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus Dankbarkeit, wegen der Abwendung einer großen Katastrophe, erbaut. Daher verfügt das kleine Gotteshaus auch die typisch barocke Architektur dieser Zeit. Sie ist vor allem wegen dem originellen Votivbild (= eine Zeichnung oder Grafik die einen Dank oder eine Bitte enthält) bekannt, welches die Kapelle auf der Ostseite ziert und auf den Grund ihrer Erbauung hindeutet.

Anfang des 18. Jahrhundert grassierte die Rinderpest über weite Teile Europas, so auch im gesamten Hegau und drohte die Rinder der Sernatinger Bauern zu befallen. Die Virusinfektion wurde mit Quarantäne bekämpft, diese war teilweise unter Androhung der Todesstrafe einzuhalten. Rinder durften nicht transportiert werden, zahlreiche Bestände wurden gekeult, vergraben und mit ungelöschtem Kalk bestreut. Mit diesen einfachen Mitteln versuchte man der Seuche Herr zu werden. Noch weit entfernt waren moderne Labore, Impfstoffe und Medikamente oder Apps, wie sie heute bei der Seuchenbekämpfung zur Verfügung stehen. In Europa wurden damals 200 Millionen Rinder Opfer der Krankheit oder vorsorglich getötet.

Für die armen Bauern der vergangenen Zeit war der Verlust von einem oder mehrerer Rinder sehr schmerzlich, es gab noch keine staatliche Unterstützung. Letztendlich konnte es den kompletten Ruin für die Bauern bedeuten. Oft blieb ihnen nur die Zuflucht zu Gott und den Heiligen, mit der Bitte sie von diesem Unheil zu verschonen.

Das Votivbild an der Ostseite erinnert an die Geschehnisse zur damaligen Zeit.  Auf dem 4,10 mal 1,45 m großen Abbild sind Bauern von Sernatingen mit einer Viehherde zu sehen und ein Engel, der die Anna-Kapelle in Händen hält. Vor der Herde ist deutlich eine Stange zu erkennen. Um sie ranken sich unterschiedliche Erzählungen, die noch nicht abschließend geklärt sind. Eine Version besagt, dass die Rinder, die über die Stangen steigen konnten, nicht von der Rinderpest betroffen waren. Eine andere Version besagt, dass die Stange ein Gatter darstellen soll, die gesunde von kranken Rindern trennt. Eine dritte Version besagt, die Rinder auf der einen Seite wurden verkauft, um die Kosten für den Bau der Kapelle zu decken. Wir bevorzugen Version eins, da sie der Gesamtsituation am gerechtesten erscheint.

Lange Jahre war die St. Anna Kapelle eine Wallfahrtskapelle. Als der Friedhof neben der Kath. Kirche an seinen heutigen Platz verlegt wurde, wurde aus der St. Anna Kapelle eine Leichenkapelle, in der die Toten bis zu ihrer Beerdigung aufgebahrt waren. Dies änderte sich als die politische Gemeinde die Aussegnungshalle auf dem Friedhof baute. Danach geriet die Kapelle mehr und mehr in Vergessenheit. Bis sich Pfarrer Rainer Auer und Ronald Winterhalter darum bemühten, die Kapelle wieder mehr in das religiöse Leben zu rücken, um ein Ort des Gebetes und der Andacht zu schaffen.

Die Kapelle beherbergt einen zierlichen Spätrokoko-Altar mit einer Anna Darstellung, sowie den Pestheiligen Sebastian und Rochus, sowie den Viehpatron St. Wendel.

An der Decke befindet sich eine lateinische Inschrift: „St. Anna ora pro nobis“, was auf Deutsch „St. Anna bitte für uns“ heißt. Der Kreuzweg im Inneren der Kapelle stammt aus der St. Otmar Kirche. Er wurde nach dem Neubau des Kirchenschiffs 1964 von Frau Maria Keller gestiftet. Bei der letzten großen Renovierung der St. Otmar-Kirche wurde der alte Kreuzweg zufällig entdeckt und wieder angebracht, so wie er heute in der Kirche zu sehen ist.

Ronald Winterhalter bemerkte, dass der von Frau Keller gestiftete Kreuzweg entsorgt werden sollte. Er rettete die Darstellungen, doch es blieben zwei Stationen verschwunden. Er recherchierte nach der Firma, die die Figuren einstmals produzierten und konnte die fehlenden Abbildungen ersetzen und anschließen in der Kapelle anbringen.

Innen wie außen, zeigt sich das Kleinod als besinnliche Begegnungsstätte mit stets offenen Türen.

Bauern waren es, die – obgleich sehr arm und häufig in Not – die Kapelle vor fast 300 Jahren errichten ließen. Sie wurde immer wieder mit Unterstützung der Gemeinde renoviert, die auch ihre unmittelbare Umgebung einladend gestaltet. So ist St. Anna nicht nur ein Ort der inneren Einkehr, sondern auch ein Schmuckstück am westlichen Dorfeingang, das alle ankommenden Gäste und Einwohner begrüßt.  Vielleicht auch mit einem stillen Gruß:

Reisender immer in Eile, verschnaufe und verweile – auch gerne bei mir“.

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