Es gibt kaum eine Luftaufnahme des 20. Jahrhunderts ohne das sogenannte „Schlößle“, meist verlassen und unscheinbar auf der rechten Seite des Bildes, da es sich häufig um Aufnahmen aus südlicher und südöstlicher Richtung handelt und das „Schlößle“ nicht Objekt der Begierde war. Auch scheint das Schlößle in vielen historischen Berichten, Erzählungen und Dokumentationen eine untergeordnete Rolle zu spielen, obwohl es untrennbar mit der wechselhaften Geschichte unserer Gemeinde verbunden ist. Wer mit dem Zug aus Richtung Überlingen kommt, kann den markanten Gebäudekomplex mit seinen Nebengebäuden nicht übersehen, zumal dem Betrachter kurz darauf ein offener Blick in den schönen Park und den anmutigen Südgiebel gewährt wird.
Aus heutiger Sicht scheinbar im Dornröschenschlaf, hat das Gebäude, seine Nebenanlagen und die Grundstücke drumherum jedoch eine lebhafte Geschichte. Erbaut wurde es im Jahre 1200 und erst viel später nämlich im 17./18. Jahrhundert barockisiert. 1856 musste die Zehntscheuer dem Neubau eines Wohntrakts weichen. 1917 erhielt der Giebel an der Südseite eine schöne Veranda, wie sie heute noch zu sehen ist. 1990 – 1993 erfolgte eine komplette Renovation und Modernisierung, mit dem Einbau und Verkauf von Eigentumswohnungen. Trotz mehrfacher Umbauten und Renovierungsarbeiten hat der dreigliedrige Gebäudekomplex seinen schlossähnlichen Charakter erhalten. Im unteren Stock des Hauptbaues befand sich wahrscheinlich sogar eine Kapelle. Die gesamte Anlage war noch zu Anfang des vorletzten Jahrhunderts mit einem Wassergraben umgeben, über den eine Zugbrücke führte.
Mit dem Bau der Bodenseegürtelbahn und seinem erhöhten Bahndamm veränderte sich vermutlich die komplette Infrastruktur um das Schlößle, denn der dazugehörige Park wurde geteilt und das Areal vom See getrennt.
Blenden wir nochmals zurück und erleben die Entwicklung und die Zusammenhänge dieses Gebäudes.
Der deutsche König Konrad III. bestätigt im Jahre 1145 dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen seine Besitzungen und Freiheiten u. a. den Hof des Swicherin in Sernotingen. Ein paar wenige Worte in einer alten Pergamenturkunde, aufbewahrt im Schaffhauser Staatsarchiv, erwähnen zum ersten Mal die Existenz unseres Ortes. In der berühmten Urkunde von 1155 bestätigt Barbarossa dem Bischof von Konstanz seine Eigentumsrechte am Kehlhof samt Kapelle zu Sernatingen.
Kurze Zeit später befindet sich der Kehlhof im Besitz der Herren von Bodman. Am 29. September 1294 verkaufte Ulrich von Bodman dem Spital zu Überlingen seinen Hof Sernatingen, genannt „Kelhof“, zu welchem das Vogteirecht, die Jurisdiktion, sowie Zwing und Bann über das Dorf Sernatingen gehörte, für 95 Mark „reinen und lötigen Silbers – Konstanzer Gewägs“.
Mit diesem Kauf ging nicht nur dieser wichtige Hof an das Spital, sondern auch noch andere Höfe und insbesondere das Gut „Stekkilborch“, das die historische Forschung mit dem „Schlößle“ gleichsetzt. Ebenso wechselten umfangreiche landwirtschaftliche Grundstücke, Weingärten, weitere Güter und die Weintaverne, vermutlich der Vorläufer des „Hotel Löwen“, den Besitzer.
Infolgedessen war ab diesem Zeitpunkt der „Schlößlehof“ im Besitz des „Heilig-Geist-Spital“ der freien Reichsstadt Überlingen. Das 1264 erstmals genannte Spital war schon zu dieser Zeit ein finanzstarker Käufer und hatte großen wirtschaftlichen Einfluss. Wem der „Kelhof“ gehört, dem gehört Sernatingen und so waren das Spital und seine Beamten die Herren über den Ort.
Das Spital war lange Zeit größter Grundbesitzer von Sernatingen, der seine Güter meist als „Schupflehen“ wieder ausgab, ein auf unbestimmte Zeit vergebenes, jederzeit kündbares Lehen. Der Obervogt des Spitals vertrat dessen Rechte und saß im „Spitalschlößle„. Das Schlößlegut, das nach 1504 durch Zuteilung weiterer Grundstücke erheblich erweitert wurde, war damals der größte Überlinger Spitalhof, der Kehlhof nahm erst die zweite Stellung ein. Wie groß der Wert von Sernatingen mit seinen Höfen für Überlingen war, ist aus einer Aktennotiz 1808 ersichtlich, die wie folgt lautete:
„Überlingens ganzer Wohlstand ist bei einer Abtretung von Sernatingen verloren“.
Der erste erhaltene Lehenbrief stammt aus dem Jahre 1565.
Die Lehnbauern (Pächter) auf dem Spitalschlößle hießen: Hans Uchter (1565 ff.) – nach seinem Vater Bastian Uchter, Jakob Metzger (1590 ff.), Max Auer (1623 ff.), Thomas Müller (-), Jakob Müller (-), Georg Keller (1675 ff.), Jakob Keller (1694 ff.), Simon Keller (1708 ff.), Anton Keller (1734 ff.), Franz Odermatt (1736 ff.), Johannes Odermatt (1765 ff.) und Martin Odermatt (1802 – 1804).
Anno 1804 wurde das Lehen „Schlößlegut“ vom Spital zum eigenen Umtrieb eingezogen und der letzte Lehenträger Martin Odermatt mit dem spitälischen Bühlhof bei Sernatingen belehnt.
Am 21. April 1829 versteigerte das Spital zu Überlingen das sogenannte Schlößle samt Scheuer, Stallung, Waschhaus, Gärten, Zehntscheuer und Ackerland an Johann Jakob Geiselbrecht, seinerzeit Spediteur in Ludwigshafen. Bereits einige Jahre zuvor wurden seitens des Spitals mehrere große Rebstücke unserer Gemeinde überlassen.
Der geschäftstüchtige Spediteur und Kaufmann Geiselbrecht vergrößerte das „Schlößlegut“ durch Zukauf von Grundstücken beträchtlich. So entstand Zug um Zug eine große private Fläche um das Schlößle und ein noch größeres Vermögen. Insbesondere zu Zeiten des Nachfolgebesitzers „Callenius“ steigerte sich der Reichtum enorm. Von sogenannten Insidern wird behauptet, das Vermögen war so groß, man hätte den ersten Stock des Schlößles komplett mit Gold füllen können. Bewiesen wurde es nie, geglaubt haben es viele.
Das Anwesen „Schlößle“ wechselte noch mehrmals seinen Besitzer:
12. November 1918 | Verkauf an Dr. Jur. Oskar Philippi, Hauptmann und Attaché |
27. September 1922 | Verkauf an Gustav Callenius, Landwirt und Kaufmann aus Friedrichshafen |
02. Mai 1923 | Ehefrau des Gustav Callenius erhält 1/5 Miteigentum am Schlösslegut |
24. Juli 1929 | Frau Callenius, geb. Holznagel wird alleinige Besitzerin |
08. Juni 1951 | Verkauf an die Firma Holdorgan AG, Zürich |
25. September 1959 | Verkauf an die Gemeinde Ludwigshafen |
Die Gemeinde veräußerte wiederum am 08. November 1960 das „Schlößle“ an Frau Margrit Weidemann, geb. Feldmann, behielt jedoch den größten Teil der zum Schlößle-Anwesen gehörenden Grundstücke als Bauland und für öffentliche Anlagen. Somit war der Grundstein gelegt, für einen Kur- und Freizeitpark direkt am nördlichen Ufer der SeeEnd-Gemeinde, der heute noch umgangssprachlich „Schlößlepark“ genannt wird.
Die Entwicklung, Gestaltung und Nutzung der Flächen vom „Schlößle“ lesen Sie im Beitrag:
„Der Schlößlepark am nördlichen Seeufer“ (kommt noch).Erwähnt wird das „Spitalschlößle“ als ehemaliges Wasserschloss auch in der Dissertation von Hans-Wilhelm Heine aus Hannover mit dem Titel: „Studien zu Wehranlagen zwischen junger Donau und westlicher Bodensee“, Stuttgart 1978 – S. 57.
Hinweise auch im SeeEnd-Bericht Vergessene Burgstelle im Lausburger Wald.