Der Schwarzwald war, wie die Schweiz, eine Hochburg oder wie man heute sagt, ein „Cluster“ der mechanischen Uhrenindustrie. In Schramberg, Schwenningen, Villingen, Lenzkirch, Triberg, St. Georgen, Schonach, Furtwangen, Rottweil und Gosheim waren Uhrenfabriken die größten Arbeitgeber. In Schramberg beschäftigte die Firma Junghans zu Spitzenzeiten bis zu 5.000 Mitarbeiter. Ein weiterer bedeutender Arbeitgeber in Schramberg war die H.A.U, die Hamburg-Amerikanische Uhrenfabrik, die vom Namen her etwas überraschend ebenfalls ihren Sitz in Schramberg hatte.
In Ludwigshafen startete der Uhrenbau mitten im 2. Weltkrieg, woraus zu schließen ist, dass sich die Gründer wenig Sorgen vor einer Zerstörung durch einen Bombenangriff etc. machten. Am 10.2.1942 wurde von den Herren Kurt Blesch und Hugo Hettich die Gewerbeanmeldung der Blesch & Hettich Uhrenfabrik eingereicht.
Das Unternehmen verwies stolz auf noch ältere Wurzeln, aus dem Jahre 1890. Laut einer Werbung aus den 1960 Jahren ging die Blesch & Hettich Uhrenfabrik aus dem Unternehmen Bössenroth-Uhren (aus Berlin-Marienfeld) hervor, welches die ersten Küchenuhren auf den Markt gebracht haben will. *)
Die Uhrenfabrik in Ludwigshafen produzierte Küchenuhren, Wohnraumuhren, Pendeluhren, Bürouhren und Schiffsuhren.
Hugo Hettich war gebürtig aus Alpirsbach und hatte sich seine Sporen in Schramberg verdient. Er war ein cleverer und tüchtiger Tüftler und meldete 1941 sein erstes Patent an, die Schwebgang-Unruh. Das besondere an der Schwebegang-Unruh war eine Spirale/Feder, deren Drehung sich in der Mitte in die entgegengesetzte Richtung änderte, an der die Unruh schwebend hing. Durch diese spezielle Feder und die schwebende Aufhängung konnte ein sehr präziser Gang der Uhr erzielt werden. Das Patent wurde allerdings aufgrund der Kriegswirren erst 1955 erteilt. *) Die Uhrenfabrik Hettich produzierte diese Schwebegangregler nicht nur für eigene Uhren, sondern lieferte diese an Uhrenhersteller auf der ganzen Welt.
Die sehr besonderen Federn wurden allerdings nicht in Ludwigshafen produziert. Sie wurden nach den Plänen von Hugo Hettich von der Firma Karl Haas aus Schramberg produziert. Diese produzierte seinerzeit für 80 % der Uhren weltweit die benötigten Präzisionsfedern.
Eine weitere bedeutende Erfindung von Hugo Hettich war der „Schwebe-Anker“. Dieser verbesserte die Ganggenauigkeit von Uhren mit Kurzpendeln erheblich. *)
Seitenansicht Schwebegangregler.
Unruhe (1), Spirale/Feder (2), Unruhachse (3), gespannter federharter Stahldraht (4), Lochsteine (5),
Zu den Anfängen der Uhrenfabrik Hettich wurden noch rein mechanische Uhren produziert. Zu dieser Zeit wurde noch alles selbst produziert. In den 60-er Jahren wurden dann batteriebetriebene mechanische Uhren mit sogenannten Klappankern gebaut, die durch Batterien mit Strom versorgt wurden. Nach den Klappankeruhren folgten die transistorgesteuerten Uhren und schließlich Quarzuhren. Auch in dieser Entwicklungsstufe der Uhrentechnik war die Hettich Uhrenfabrik technisch führend.
Hettich Uhren waren äußerst nachhaltige, langlebige Produkte. In Ludwigshafen waren Hettich Uhren im Besonderen auch beliebte Hochzeitsgeschenke. Auch meine Eltern, Cordo und Sigrun Beirer, erhielten vor 56 Jahren zu ihrer Hochzeit im Jahre 1965 eine batteriebetriebene Hettich Quarz Uhr. Die Uhr geht noch, aber die „Unruh“ bewegt sich nur noch, wenn man sie anschiebt und das nicht lange. Sie war zu dieser Zeit bereits nur noch eine optische Spielerei ohne Einfluß auf den Gang der Uhr. Aber die Uhr ist immer noch ein Hingucker.
Zu Beginn der 60-er Jahre teilten die beiden Gründer Kurt Blesch und Hugo Hettich ihre Uhrenfabriken auf. Kurt Bleschs Uhrenfabrik firmierte unter dem Namen Garant Uhren zunächst in Ludwigshafen und später in Sipplingen. Die Hugo Hettich Uhrenfabrik GmbH blieb in Ludwigshafen in der Mühlbachstraße. In den Spitzenzeiten beschäftigte die Uhrenfabrik Hettich in Ludwigshafen ca. 150 Mitarbeiter. Die Uhrenfabrik Hettich bot bereits in den 70-er Jahren eine Art „Homeoffice“ für Mitarbeiter an, dies nannte sich seinerzeit aber „Heimarbeit“.
Der Untergang der Uhrenfabrik ging mit dem Preisverfall bei Quarzuhren einher. Mitte der 70-er Jahre wurden Quarzuhren billiger als mechanische Uhren. Bis dahin wurde für die höhere Präzision der Quarz-Uhren ein höherer Preis bezahlt. Die Massenproduktion führte bei Quarz-Uhren aber zu schneller sinkenden Produktionskosten als bei mechanischen Uhren, die aufwendiger in der Produktion blieben. Der Wettbewerb ließ die Preise purzeln. Die Uhrenindustrie in Deutschland verlor dabei ihre Wettbewerbsfähigkeit, im Vergleich zu Uhren aus damaligen Niedriglohnländern aus Fernost. Diese Entwicklung zwang die Uhrenindustrie im Schwarzwald und auch in Ludwigshafen in die Knie.
Als das Unternehmen 1984 Konkurs anmeldete verloren 92 Mitarbeiter ihre Beschäftigung.
Das Gebäude der Uhrenfabrik in der Mühlbachstraße beherbergte in der Zwischenzeit mehrere Unternehmen, die Teile des Gebäudes beanspruchen. Auch heute sind noch viele Menschen im Gebäude der ehemaligen Uhrenfabrik Hettich beschäftigt und das Gebäude heißt bei uns immer noch „Uhrenfabrik“, auch wenn dort seit knapp 40 Jahren keine Uhren mehr produziert werden.
*) http://www.hwynen.de/hettich.html (Abruf 18.10.2021)