Das Olympische Dorf

Ein Hauch von Olympia wehte Anfang August 1971 im schönen Ferienort Ludwigshafen, denn die besten deutschen Kunstturner bezogen hier ihr Quartier während der intensiven Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1972 in München. Die guten Beziehungen zum DTB (Deutscher Turner Bund) und den Bundestrainern machten es damals möglich. Insbesondere dem Engagement von Kunstturnwart Walter Stier ist es zu verdanken, dass ein Trainings-Lehrgang der deutschen Nationalmannschaft in Ludwigshafen durchgeführt wurde. Zu dieser Zeit ein Großereignis in unserem Ort, welches enormes Interesse in der ganzen Bevölkerung und auch im Einzugsgebiet Hegau hervorrief.

Nicht nur die Einwohner waren begeistert, sondern auch die Sportler – von der Atmosphäre, der Herzlichkeit und den hervorragenden Trainingsbedingungen, die sie für ihr Trainingslager vorfanden. Zu den damaligen Deutschen Athleten gehörten unter anderem der 22jährige deutsche Zwölfkampfmeister Walter Mössinger, sowie Erich Hess, Hermann Höpfner und Reinhard Ritter. Bekannte Lehrgangsleiter wie Eduard Friedrich, Vaclav Kubicka oder Dr. Peter Brüggemann waren mit angereist. Die jungen Kunstturner wollten hier am Bodensee ihre Leistungsstärke optimieren, fern ab von Zwang und Trubel. Dieser zweiwöchige Vorbereitungs-Lehrgang diente dazu, die nicht leichten Pflichtübungen technisch richtig zu erlernen und diese mit Eleganz, Perfektion und Selbstsicherheit vorzuführen. Aus heutiger Sicht waren die Organisatoren ihrer Zeit weit voraus. Denn heute wissen alle, wie wichtig mentale Stärke und innere Ruhe für Höchstleistungen sind. So konnten die Athleten neben ihrem harten Training auch die Natur, die Sonne, den Strand und das ausgezeichnete Essen genießen. Sehr viel Lob gab es für die gastfreundliche Unterbringung im Hotel Krone, die es ja gewohnt war, Turnerfamilien zu betreuen und zu verpflegen.

Nationalriege der Kunsturner für Olympia 1972 in der noch neuen Turnhalle

Zum Abschluss ihres Trainingslagers bot die Nationalriege in den Ufer- und Parkanlagen der Gemeinde Ludwighafen ein „vor-olympisches“ Schauturnen, dem begeisterte 1500 Zuschauer beiwohnten. Unter der Ansage von Bundestrainer Eduard Friedrich brannten die Kunsturner ein Feuerwerk brillanten Könnens ab. Akrobatische Sprünge, Mehrfachschrauben, Salti und Flickflacks wurden vorgeführt, am Boden, dem Seitpferd, den Ringen, am Barren und am Reck, begleitet mit Beifall von einem entflammten und mitgehenden Publikum.


Mit diesem glanzvollen Abschluss stellte sich die Nationalriege einem breiten Publikum vor und bedankte sich turnerisch bei der Gemeinde Ludwigshafen und allen Helfern für die Möglichkeit dieses Vorbereitungslehrgangs auf die Olympischen Sommerspiele 1972.

Ein solches Großereignis, mit dem Charakter eines kleinen Volksfestes, gab es bisher noch nie in den Parkanlagen und dürfte, als schöner Nebeneffekt, wohl der Anfang der nachfolgenden Strandfeste gewesen sein.

Als Abschieds- und Erinnerungsgeschenk erhielt jeder Sportler und das Trainerteam einen mit einer persönlichen Widmung versehenen Stich vom alten Sernatingen mit dem Dampfschiff „Leopold“. Glücklich und gut gelaunt ging es ab in das nächste Trainingslager, mit hoffnungsvollem Blick auf die Anreise zu den Olympischen Spielen nach München vom 26.08. – 10.09.1972.

Aufgrund der optimalen Verhältnisse, welche die Deutsche Nationalmannschaft vorgefunden hatte, führte der DTB regelmäßig seine jährliche Kunstturn-Trainings-Lehrgänge der besten Nachwuchsturner in Ludwigshafen durch.
Ob Eberhard Ginger oder Fabian Hambüchen ebenfalls ihre Turner-Karriere in Ludwigshafen verfestigten, wird aus Datenschutzrechtlichen Gründen nicht verraten.

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Anmerkung der Redaktion
Olympia 1972 in München startet überzeugend und weltoffen, doch Terror zerstört die heiteren Spiele.

Die atemberaubende Konstruktion des Olympiastadions mit seinem Zeltdach symbolisiert Freiheit und Offenheit. Eine gute Woche lang sind die Olympischen Spiele tatsächlich ein fröhliches Fest, das Zuschauer und Athleten gleichermaßen begeistert. Dann sorgt der Terroranschlag auf die israelische Mannschaft für ein jähes Ende der heiteren Spiele von München.
Sollen die bislang so fröhlichen Spiele weitergehen? Das IOC entscheidet sich, die Wettkämpfe fortzusetzen. Präsident Avery Brundage spricht bei der Trauerfeier im Olympiastadion den berühmt gewordenen Satz: „The Games must go on!“ (Die Spiele müssen weitergehen). Die lockere und heitere Atmosphäre der Tage vor dem Attentat haben die Spiele jedoch nicht mehr.

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