Es fährt ein Zug nach (n)irgendwo!

Seit 128 Jahren rollen die Züge am und durch den SeeEnd-Bahnhof in Ludwigshafen.

Anfang des 19. Jahrhunderts begann ein unaufhaltsamer Siegeszug der Eisenbahn. Doch schon Jahrzehnte zuvor versuchte man, mit Schienenfahrzeugen den Transport schwerer Gegenstände oder die Verfrachtung von Massenware zu erleichtern. Die Schienen und auch die Gleise waren nicht aus Stahl, sondern aus Holz und Kupfer, später verwendete man mit Eisen beschlagene Holzschienen, auf denen die Räder mit deutlich weniger Reibung rollten. In der Anfangszeit waren die „Eisernen Wege“ insbesondere für die Fortschaffung von Mineralien und Kohle aus Bergwerken gedacht, doch bald kam der Transport allerlei Güter dazu und letztendlich auch der Personenverkehr.

Überall, wo die Eisenbahn ihre Schienen legte, veränderte sich das Landschafts- und Ortsbild. Dadurch wandelte sich das kulturelle Leben, die wirtschaftliche und die industrielle Entwicklung. Nicht überall wurde dieser neue Transportweg als Segen betrachtet, denn er verdrängte bestehende Wirtschaftszweige, brachte Lärm und Gestank und war die Ursache vieler Konflikte.

Auch bei uns am SeeEnde war der Einschnitt groß, als im Jahre 1895 die Eisenbahnlinie Radolfzell-Ludwigshafen-Überlingen-Friedrichshafen, als Teil der Bodenseegürtelbahn, eröffnet wurde.
Mehrere, aneinander anschließende Eisenbahnstrecken rund um den Bodensee, bilden heute einen nahezu geschlossenen Ring.

Die Eisenbahn brachte für Ludwigshafen zunächst einen empfindlichen wirtschaftlichen Rückschlag. Der Ort wurde nämlich nicht, wie man erhoffte, einer der wichtigsten Warenumschlagplätze am See, denn er verlor seine bisherige zentrale Lage im Geflecht wichtiger Land- und Wasserwege. Beide, die Verkehrswege zu Land und über den See mit den Dampfschiffen, wurden zugunsten der neuen Schienenwege in ihrer Bedeutung erheblich gemindert. 

Erst einige Jahrzehnte später entpuppte sich der Bahnhof, mit neuen wirtschaftlichen Komponenten, als durchaus positiver Faktor für das SeeEnde. Industriebetriebe bevorzugen eine Infrastruktur mit multimodalem Güterverkehr. So waren für Unternehmen wie die Uhrenfabrik, TOX-Dübel, die Dampfseifenfabrik, der Holzhandel und auch der Obstbau, eine Bahnverbindung ein wichtiges Standortargument. Einmal mehr war auch die günstige Lage am SeeEnde ausschlaggebend für die Wahl zu einer „Freiplatzwerft“ am Seehotel Adler, da die Lokation leicht mit der Bahn erreichbar war, um alle Schiffsteile für den Bau der Bodenseefähre „Linzgau“ an das Seeufer zu befördern.

Außerdem begann für die Einwohner am „SeeEnde“ eine neue Ära der Mobilität und in der Ausrichtung des örtlichen Lebens. Während man bisher bei Reisen auf Kutschen, Pferden und Ochsenkarren zurückgreifen oder gar zu Fuß gehen musste, konnte man nun dank der Eisenbahn bequem und entspannt an sein Ziel gelangen.

Unbestritten ist der Vorzug einer Bahnstation für den Fremdenverkehr mit den vielen Urlaubern zu nennen, die mit der Bahn anreisten und es teilweise heute noch tun. Auch der Pendlerverkehr zu Arbeitsstätten in östlicher und westlicher Richtung, sowie der Schulbetrieb sind Nutzer der Bahninfrastruktur.

Großherzog mit Jubel empfangen!

Bei der Einweihung der neuen Bahnlinie, am 21. August 1895, fuhr der Großherzog mit einem Festzug von Radolfzell, über Stahringen und Espasingen, nach Ludwigshafen. Als der Sonderzug sich Ludwigshafen näherte, krachten Böllerschüsse zur Begrüßung. Um Punkt 11:58 Uhr lief der Zug in den Bahnhof ein. Als der Großherzog dem Zug entstieg, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Der 69-jährige Fürst, bekleidet in der Uniform des Leib-Dragonerregiments, zeigte sich frisch und überaus leutselig. Ungefähr 2.000 Menschen hatten sich zum Empfang des Großherzogs eingefunden. Die Musikkapelle spielte die „Badische Nationalhymne“ und der Gesangverein sang „Heil unserem Fürst“ aus voller Kehle.

Der Großherzog war von diesem Empfang tief beeindruckt. In seiner Dankesansprache an seine „lieben Landeskinder“ bekannte er, dass er Ludwigshafen besonders ins Herz geschlossen habe. Während seines einstündigen Aufenthalts in Ludwigshafen begab sich der Großherzog auch in das Gasthaus und heutige Strandhotel “Adler“. Dort empfing er eine Reihe von Ehrengästen, schüttelte viele Hände und zeigte keine Spur von Ermüdung.

Als der Sonderzug mit erheblicher Verspätung zum nächsten Ziel „Sipplingen“ weiterfuhr, krachten wieder Böllerschüsse. Der Musikverein spielte einen flotten Marsch, während sich seine königliche Hoheit winkend von den vielen Menschen verabschiedete.

Ein weiteres Großereignis ist unbestritten der 5. Juli 1954, als die „Helden von Bern“, mit den Spielerlegenden wie Fritz Walter, Helmut Rahn, Toni Turek und Sepp Herberger, im Weltmeister-Zug den Bahnhof Ludwigshafen passierten. Es herrschte allgemeiner Ausnahmezustand.

Ein weiteres mediales Großereignis war der 09. Oktober 1977. An diesem Tag kommt es zu einem schweren Zusammenstoß im Bahnhof in Ludwigshafen am SeeEnde. Infolge einer falschen Weichenstellung prallte der aus Lindau kommenden fahrplanmäßige Eilzug gegen den auf Gleis 1 stehenden Schienenbus von Radolfzell nach Friedrichshafen. 25 zum Teil schwerverletzte Fahrgäste wurden aus den zerstörten Wagen des Schienenbusses geborgen.

Heute ist der Bahnhof in Ludwigshafen Haltestelle oder Durchgangsbahnhof für Regionalzüge, Fernzüge und Sonderzüge, die Urlauber, Pendler oder Tagestouristen an ihr Ziel bringen. Die wunderschöne Lage des Bahnhofs erfasst die Freude des Reisenden, wenn er, aus westlicher Richtung kommend, das herrliche SeeEnde erblickt. Sie stimmt aber viele Reisende etwas wehmütig, wenn sie aus östlicher Richtung kommend das SeeEnde erreichen, um es gleich darauf nach „irgendwo“ verlassen zu müssen.

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