Erlebniswelt „Dorfbrunnen“

Dass sich Kuh und Karpfen aus nächster Nähe -vielleicht verliebt- in die Augen blicken, das gab es wohl nur auf der „Bruck“ in Ludwigshafen, also an der Stelle, wo die Haldenhofstraße eine scharfe Kurve macht, der Blütenweg einmündet und darunter der Gießbach durch seinen langen Tunnel dem See zufließt. Dort stand einer der großen Dorfbrunnen.

In erster Linie war ein solcher Brunnen natürlich dazu da, die Trinkwasserversorgung von Mensch und Tier zu gewährleisten. Dass er bei entsprechender Größe von uns Kindern im Sommer auch als Badewanne und Ort ausgiebiger „Wasserschlachten“ genutzt wurde, und wie es dabei zur Sache ging, kann der Fantasie des Lesers überlassen werden. Interessantes zum Thema gibt es auch in dem Beitrag „Von Brunnen und Brunnebudser“ zu lesen. Im Folgenden geht es nun um zwei außergewöhnliche Erlebniswelten, die Dorfbrunnen zu schaffen in der Lage sind.

Dorfbrunnen – Sealife-Center und Streichelzoo

Meinem Großvater, dem Fischer Viktor Lindenmayer, diente der Brunnen auf der „Bruck“ als Frischhaltebecken, in dem er die wenig begehrten großen Weißfischarten zwischenlagerte, wenn er einen guten Fang hatte, die Nachfrage nach Karpfen, Brachsen oder Alets aber auf sich warten ließ. Dadurch wurde der Brunnen für uns Kinder zu einer Art von aquatischem Streichel-Zoo, also gewissermaßen zu einem Vorläufer des heutigen Sealife-Centers.

Hier konnten wir Fische am Schwanz packen und sie wie U-Boote durchs Wasser schieben. Wir konnten mit der Hand über ihre kalten, glitschigen Leiber streichen und ihnen den Finger in das weiche zahnlose Maul stecken. Ob den Tieren all das gefallen hat, würde ich heute eher bezweifeln. Aber sie ließen es geduldig und ohne aufzubegehren über sich ergehen. Nur wenn es uns gelang, sie über die Wasseroberfläche zu heben, konnten wir ihren Widerwillen und ihre Stärke spüren. Mit plötzlichen und kraftvollen Schwanzschlägen befreiten sie sich augenblicklich aus unseren Händen. Allerdings wählten sie manchmal bei ihrer Flucht den falschen Weg und landeten auf dem Trockenen. Das zappelnde schlüpfrige Wasserwesen von der Straße wieder in den Brunnen zu bugsieren, war gar nicht so einfach.

Das rief dann meist meinen Großvater auf den Plan, der dem kindlichen Treiben sicherlich schon eine ganze Weile vom Küchenfenster aus wohlwollend zugesehen hatte. Jetzt aber stürmte er, Wut vortäuschend, so schnell es mit seinem steifen Bein nur ging, aus dem Haus, jagte uns Kinder „zum Teufel“ und kam dem gequälten Tier rettend zur Hilfe.

Dorfbrunnen – pädagogisch und therapeutisch wertvoll

Andere Akteure, die das Umfeld des Brunnens zu einer Erlebniswelt ganz besonderer Art werden ließen, waren die Kühe des Bauern Hohl. Sie machten sich im Sommer mehrmals wöchentlich, wenn nicht sogar täglich, vom Anwesen Auer, heute Stockacher Straße 4, auf den Weg zu ihrer Weide am Anfang des Blütenwegs. Die Gewissheit, sich bald am Brunnen auf der „Bruck“ in vollen Zügen kühles Quellwasser einverleiben zu können, löste bei ihnen mit absoluter Zuverlässigkeit den gastrokolischen Reflex aus, der die Nahrungsaufnahme mit der Darmentleerung koppelt. Bei dem Bestreben, Platz in ihrem Verdauungstrakt zu schaffen, pflasterten die Rindviecher die Haldenhofstraße ab Hausnummer 6 mit einer breiten Spur warmer Fladen und natürlich auch den Vorhof des Brunnens, wie im Foto unten andeutungsweise zu sehen ist.

Foto aus dem Internet.

Daran störte sich damals kein Mensch. Im Gegenteil! Zu einer Zeit, als die Kleidung der Kinder eher spärlich war und sie oft barfuß unterwegs waren, half es mitunter, je nach Temperatur im Früh- oder Spätjahr, die nackten Füße in einem frisch gefallenen Kuhfladen wenigstens kurzfristig aufzuwärmen.

Ein Knäblein aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Brunnens auf der „Bruck“, das gerade erst laufen gelernt hatte und nur mit einem Oberteil bekleidet war, (um den Aufwand des Windelwaschens gering zu halten), soll es sich sogar einmal mit dem „Nackten“ in einem dieser noch dampfenden Pflatter gemütlich gemacht haben. Die beherzte Mutter hätte die Bescherung daraufhin rasch und pragmatisch beseitigt, indem sie den Kleinen aus seinem wohlig-warmen Untergrund herausgehoben und ein paar Mal im eiskalten Brunnenwasser geschwenkt hätte, bis es wieder reingewaschen war.

Pfarrer Kneipp hätte dieser Kur sicher seinen Segen gegeben und auch der Orthopäde Moritz Schreber hätte die Methode wohl als wirkungsvolles therapeutisch-pädagogisches Mittel zur „körperlichen Ertüchtigung“ und „gesunden Triebabfuhr“ betrachtet. Das Bübchen, von dem hier die Rede ist, hat es bei guter Gesundheit zu hohem Alter gebracht und erfreut sich als Großvater noch immer seines Lebens. Wer weiß, ob nicht der sorglose Umgang in seiner Kindheit mit einigen Naturprodukten, wie Mist und Matsch, dazu einen Beitrag geleistet hat.

In anderen Teilen der Erde sind die Berührungsängste im Hinblick auf Kuhdung so gering, dass man ihn als Bau- und Brennmaterial wertschätzt und als getrocknete Diskusscheiben sogar für sportliche Wettkämpfe nutzt, wie bei der Kuhfladen-Weitwurf-Meisterschaft in Tirol und Wisconsin, USA.

Dorfbrunnen – Ort für Begegnung

Dass ein Dorfbrunnen mehr war und ist, als eine eingefasste Wasserstelle, dürfte nach dem Lesen dieser Anekdoten allen klar geworden sein. Im Umkreis eines Brunnens, ob vor dem Tore oder dahinter, ob mit oder ohne Lindenbaum, entstehen Erlebniswelten verschiedenster Art. Sie liefern nicht nur Stoff für Lyrik und Poesie, sondern auch für manch kuriose Geschichte. Sie werden zu Orten der Begegnung und Geselligkeit, wenn die Menschen es so wollen, wie hier an diesem Fragment des alten Dorfbrunnens auf der „Bruck“, der aufgrund der schönen Schmiedearbeit von Fritz Karle (sen.) heute „Schneckenbrünnle“ genannt wird.

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