Vergnügungshungrige Lang-Schüler

Tanzfreudige Studenten mit guter Bleibeperspektive

Wie bereits in anderen Beiträgen (Fregatte – Das Tanzschiff auf dem Berg und Löwen – Theater, Tanz und Lumpenball) erzählt, war Ludwigshafen ab Ende der 50-er Jahre ein Hotspot für vergnügungshungrige Menschen aus dem westlichen Bodenseegebiet. Ein wichtiger Treiber für die große Nachfrage nach Tanzveranstaltungen war die Lang-Schule, die sich in Stockach befand und später in Ludwigshafen einen Ableger hatte. Halbjährlich kamen zu jener Zeit 600 junge Männer nach Stockach und ein Teil davon nach Ludwigshafen, um dort in der Lang-Schule in einem halbjährlichen Kurs eine Ausbildung als Techniker oder Werkmeister für verschiedene Fachrichtungen zu absolvieren.

In Ludwigshafen konnte man später an der Lang-Schule sogar einen Abschluss zum Ingenieur machen. Auch diesen Titel konnte man an der Lang-Schule in Rekordzeit erwerben, weil der Ingenieur-Titel damals noch nicht geschützt war. Zwar bot die Lang-Schule auch Übernachtungsmöglichkeiten an z.B. im Haus Edeltraud, aber viele Lang-Schüler zogen es vor Zimmer, sich bei Ludwigshäfler Familien einzumieten.

Diese vermieteten gerne, um die Haushaltskasse aufzubessern. Manche Familien sollen bis zu 6 Schüler gleichzeitig beherbergt haben. Die Lang-Schule war ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur für die Zimmervermieter auch für Gastronomen. Das Angebot, in kurzer Zeit einen Abschluss zu machen, der das berufliche Weiterkommen enorm beförderte, zog Studenten aus ganz Deutschland an. Auch Häfler besuchten die Lang-Schule, mein Vater, Cordo, war einer von ihnen. Ein Haken an der Geschichte war, dass das Zahlenverhältnis junger Männer zu Frauen in Ludwigshafen durch die Lang-Schüler in eine deutliche Schieflage geriet. Für die jungen Frauen der Gemeinde eröffnete dieses Überangebot an jungen Männern mit vielversprechenden Berufsaussichten ganz neue Perspektiven, während sich die Begeisterungsstürme der Häfler Burschen in Grenzen hielten.

Abhilfe brachte der findige Löwen-Wirt Fritz Glöckler, der für seine Tanz-Veranstaltungen Mittwochs, Samstags und Sonntags junge Frauen aus den Gemeinden des Häfler Umlandes mit einem Bus nach Ludwigshafen karrte und so hatten (fast) alle ihr Vergnügen. Der Löwen wurde zum Treffpunkt und es wurde getanzt und geflirtet, was das Zeug hielt. Natürlich kam es immer wieder vor, dass mehrere junge Männer um die gleiche Dame buhlten und umgekehrt. Alle Studenten waren im heiratsfähigen Alter und manche waren auch schon verheiratet, was sie nicht davon abhielt, sich ins Ludwigshäfler Nachtleben zu stürzen.

Ein Lang-Schüler Namens Horst T. muss der Herzensbrecher seines Jahrgangs gewesen sein. Er verdrehte mehreren jungen Mädchen im Dorf den Kopf, während in seiner Heimat, in Hagen, seine Verlobte auf ihn wartete. Seine Geschichte wurde beim „Bunten Abend“ im Löwen in einem Vortrag verewigt. Womöglich kein Einzelfall. Solche Geschichten sorgten natürlich für reichlich Gesprächsstoff und nach der ersten Begeisterungswelle freute sich nicht jede Mutter, wenn das Töchterchen mit einem Lang-Schüler anbandelte.

Einige Häfler Burschen nahmen sich vor, den Lang-Schülern die Grenzen aufzuzeigen. Eines Nachts muss ein Lang-Schüler vom sogenannten „Rollkommando“, einer wehrhaften Gruppe junger Häfler Burschen, in der damals unbeleuchteten Bahnhofstraße eine herbe Tracht Prügel bezogen haben. Als sich das „Rollkommando“ einige Tage später zu seiner wöchentlichen „Sitzung“ in geschlossener Gesellschaft im ehemaligen „Hafengrill“ traf, versammelten sich 300 bis 400 Lang-Schüler vor dem Lokal und forderte das „Rollkommando“ auf herauszukommen. Die Situation wurde brenzlig. Einige Anwohner befürchteten, dass es zu Lynch-Justiz kommen könnte, und so wurde der Ortspolizist Rotzinger geholt, um die Situation zu beruhigen, was ihm glücklicherweise gelang.

Insgesamt war die Zeit der Lang-Schüler sicher eine der lebhaftesten Zeiten der Gemeinde. Und wenn die Lang-Schüler in den Ferien den Ort verließen, langweilten sich nicht nur die Wirte. Tatsächlich konnten sich zahlreiche Lang-Schüler weder den Reizen der jungen Häflerinnen noch des schönen Seeendes erwehren, gründeten in Ludwigshafen ihre Familien und blieben der Gemeinde ein Leben lang treu. Der Genpool der Gemeinde fand durch die Lang-Schüler eine rege Auffrischung.

Über den Autor

Schreibe einen Kommentar