Mit freundlicher Unterstützung von Ignaz Strobel
„Villicht war mer vill besser dra i de selle Zeit wi hitt. Mer hätt s’Esse besser gschmalze mit Rinder- und Gosseschmalz. Do isch s‘Schmalz obbe her grennt. Der wo z‘erscht inneglanget hätt, der hätt au d’Hauptsach g’hett vum Fett.“
So die Worte von Johann Strobel aus Ludwigshafen in einem Interview, das Zahnarzt Pirschel in der Mitte des letzten Jahrhunderts auf Tonband aufzeichnete.
Und damit der Johann vom Schmalz auf dem Habermus eine möglichst große Portion abbekam, zog er geschwind von der Mitte der Pfanne eine tiefe Rinne, in der sich das begehrte Fett sammelte und zu ihm hin floss. Das Habermus wurde nämlich damals noch gemeinsam von allen aus einer Muspfanne gegessen. Aus eigenen Tellern zu essen, war noch nicht üblich. Doch der alte Strobel hat diese Technik wohl nicht erfunden oder als einziger angewandt. Sie scheint, anderen Quellen zufolge, Usus gewesen zu sein.
Ob sich dieses Recht allerdings ein jeder am Tisch herausnehmen durfte, oder nur der „Ranghöchste“, darf man sich fragen. Wenn es aber einen solchen nicht gab, wie zum Beispiel am Tisch des Gesindes, konnte eine Magd es als Liebeserklärung ansehen, wenn ein Knecht einen Kanal zur Überleitung des Schmalzes in ihre Richtung zog. Köchinnen, die diese „Ungerechtigkeit“ vermeiden wollten, drückten mit dem Löffel eine entsprechende Anzahl von kleinen Gruben in das Mus bevor sie es mit Schmalz übergossen.
Fotos aus dem Internet.
Bereits im Mittelalter war diese einfache Speise bekannt. Hildegard von Bingen lobte den Getreidebrei aus Dinkel und ihm wurde vielmals nachgesagt, dass er die armen Leute vor dem Verhungern bewahrte. Er war einfach zuzubereiten, nahrhaft und sättigend, was bei der harten körperlichen Arbeit auf dem Lande wichtig war. Hierauf verweist wohl auch das Sprichwort “Habermus gibt starken Fuß”. Habermus wurde in früheren Zeiten täglich morgens und abends gegessen. Man bereitete es morgens oft süß und mit Milch und abends meist salzig mit geschmälzten Zwiebeln zu. Es war das „täglich Brot“ und der Kraftstoff der Landbevölkerung. Wer bei der Arbeit „schwächelte“, musste sich für gewöhnlich anhören: „Du mosch halt meh Habermus esse!“
Der Köchin, die als Bauersfrau noch viele andere Aufgaben zu bewältigen hatte, kam diese Esstradition sehr zu Gute. Sie musste sich nicht den Kopf zerbrechen, was sie kochen soll. Und auch der Abwasch war schnell erledigt. Er beschränkte sich allein auf die Muspfanne und den Kochlöffel. Kein Besteck, keine Teller.
Die Esslöffel, von denen jeder den seinen hatte, wurden wahrscheinlich saubergeleckt, an der Hose oder der Schürze trocken gerieben und in den Löffelhalter an der Wand gehängt. Bis zum nächsten Mal.
Schon der römische Geschichtsschreiber Plinius hielt im 1. Jahrhundert nach Christus in seinen Aufzeichnungen fest: „Germaniens Völker bauen den Hafer regelrecht an und leben nur vom Habermus.“ Hafer war früher das wichtigste Getreide zur Herstellung von „Grütze“ oder Mus, weshalb sich wohl die Bezeichnung „Habermus“ in unserer Region für alle Musarten herausgebildet hat. „Habermus“ kann jedoch auf dieselbe Art auch mit anderen Getreidesorten, wie Weizen, Dinkel, Emmer, Einkorn, Roggen, Gerste, Hirse und Buchweizen gekocht werden. Ob das aus dem Alemannischen stammende ‘Haber’ also wirklich den Hafer meint, ist nicht gesichert. Das Wort ‘Haber’ könnte sich auch auf ein alemannisches Fabelwesen der Fruchtbarkeit beziehen und der Begriff „Habermus“ demzufolge als „Lebensspender“ verstanden werden.
Die Herstellung und das Kochrezept sind einfach. Die gereinigten Getreidekörner werden im Backofen angeröstet, wodurch die für das Musmehl typischen Röstaromen entstehen. Nach dem Rösten werden die Körner zu einem gröberen Vollkornmehl gemahlen. Die grieß-ähnliche Konsistenz ist vergleichbar mit Polenta. Durch das Rösten erhält das Musmehl eine braune Farbe, sein Geschmack variiert je nach Zusammensetzung der Getreidesorten, sowie Röst- und Mahlgrad. Diese fallen zumeist regional unterschiedlich aus. Auf der Schwäbischen Alp spricht man daher eher von „Schwarz Mus“ oder „Brennt’s Mus“. Durch das Erhitzen wird das Getreide länger haltbar gemacht, was in einer Zeit ohne Gefrierfach und Konservendosen überlebenswichtig sein konnte.
Für die Zubereitung wird das Musmehl in kochendes Wasser eingerührt, das gesalzen oder gesüßt und mit Milch verfeinert sein kann. Unter Rühren wird es dann zu einem dicklichen Brei verkocht und anschließend mit Butter oder Schmalz übergossen.
Rezept für 4 Personen:
1,5 l Vollmilch / 0,5 l Wasser / 200 g Muasmehl / 1 Prise Salz / 70 g Butter
Zubereitung:
Milch, Wasser und Salz in einer Muaspfanne zum Köcheln bringen. Mit dem Schneebesen das Muasmehl einrühren und nach und nach weiter rühren, bis eine cremige Konsistenz entsteht. Wer auf eine schmackhafte Bodenkruste wert legt, sollte nach dem Einrühren des Mehls mit dem Schneebesen gegen Ende nicht mehr rühren oder zum Weiterrühren nur einen Holzkochlöffel verwenden und keinesfalls am Pfannengrund kratzen oder stochern, damit das Habermus leicht am Boden „anhockt“ (NICHT anbrennt! ) und einen schmackhaften Bodensatz bildet. Zum Schluss Butter in einer kleinen Pfanne bräunen und das Muas damit rasch „abschmelzen“ (übergießen), noch bevor sich auf dem Mus eine Haut bildet.
Habermus kann vielfach variiert werden: Herzhaft mit Brühe angerührt und mit geriebenem Käse, Zwiebeln, Speck oder Kräutern verfeinert, lässt es sich als Beilage anrichten. Als klassischer Frühstücksbrei mit Wasser oder Milch aufgekocht und Obst, Saaten und Nüssen garniert, sorgt es für einen gesunden, nährstoffreichen Start in den Tag.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts geriet das Musmehl als typisches Arme-Leute-Essen zunehmend in Vergessenheit. Mit der Aufnahme als Passagier in die ‘Arche des Geschmacks’ 2005, hat die Slow-Food-Bewegung das regionaltypische und traditionelle Nahrungsmittel wiederbelebt.
Das Musmehl wird häufig noch von kleineren Mühlenbetrieben in Süddeutschland hergestellt, wie in unserer Region zum Beispiel von der Mayer Mühle in Orsingen. Es ist im örtlichen Supermarkt in der Überlingerstraße erhältlich.
Dennoch gibt es nicht mehr viele Menschen, deren Leibspeise Habermus ist, und wohl noch weniger, die es täglich essen. Bei Martha Reitz, einer Häflerin der älteren Generation, kommt Habermus noch häufig auf den Tisch und wird traditionell in der Muspfanne serviert, aus der alle gemeinsam und genussvoll essen. So muss das sein, denn nur so stärkt Habermus nicht nur die Leibeskräfte, sondern auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Und erst dann schmeckt es so richtig gut.
Übrigens, Johann Strobel, der Großvater von Ignaz und Peter Strobel, liebte nicht nur sein tägliches Habermus, sondern machte sich auch jeden Morgen von seinem Haus in der Sernatingenstraße nahe der Bahnlinie auf den Weg in Richtung Möhrle-Beck am Espasinger-Eck in der Radolfzellerstraße, um sich dort am Brunnen (den es damals dort noch gab) mit quellfrischem Wasser zu waschen. Er war einer von der „ganz alten Sorte“, der das einfache Leben bis zum Schluss wertschätzte und praktizierte.