Zilli, der übermütige Marder

In der einst bäuerlich geprägten SeeEnd-Gemeinden gab es bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts Tiere in großer Vielfalt. Einige von ihnen liefen frei auf den Straßen herum, andere waren in Ställen zuhause oder genossen ihr Dasein auf grünen Wiesen. Man hörte es im Ort muhen, wiehern, meckern, grunzen, blöcken, gackern, krähen, schnattern, gurren, zwitschern, bellen, miauen und summen. Die Tiere bereicherten das Leben der Menschen nicht nur durch den praktischen Nutzen, den sie von ihnen hatten. Manche wurden nur aus Spaß an der Freud gehalten zur Auflockerung des Alltags.

Einer, der Freude daran hatte, sich besonders Wildtiere ins Haus zu holen, war der landlose Maurer, Fischer und Metzger Viktor Lindenmayer. In Verlängerung seines Holzschopfs hatte er -zwei Stockwerke hoch- ein geräumiges Vogelkäfig errichtet, in dem viele heimischen Singvögel versammelt waren. Grünfinken, Buch- und Distelfinken, Kohl-, Blau- und Tannenmeisen, Rotkelchen, Zeisig, Dompfaffe, Kernbeiser und so weiter, kurz alle, die an seinen Leimruten kleben geblieben waren oder sich auf andere Art haben fangen lassen und mit Körnern, Sämereien und Früchten zu füttern waren.

Zu seinem kleinen Tiergarten gehörte auch ein zahmer Rabe namens Jakob, der gelegentlich volltrunken durch die Küche taumelte, weil ihm die „bösen Buben“ des Hauses zu ihrer Belustigung in Apfelmost getunktes Brot zu fressen gegeben hatten. Möglicherweise hat sie die Bildergeschichte von Wilhelm Busch „Hans Huckebein“ dabei inspiriert, um nicht zu sagen dazu angestiftet.

Von Viktors Gans wurde berichtet, dass sie an Werktagen kurz vor zwölf Uhr die Haldenhofstraße hinunter watschelte von der „Bruck“ bis zum Hotel „Zum goldenen Löwen“, um dort ihren Herrn und Meister in Empfang zu nehmen, der sich in der Mittagspause auf dem Heimweg befand. Da der Viktor aufgrund einer Kriegsverletzung ein steifes Bein hatte, bot sich manchem Betrachter für kurze Zeit ein lustiges Schauspiel. Da wackelte die eine und humpelte der andere die Straße hinauf, nebeneinander bis zur Hausnummer 106.

Aber die tollsten Geschichten werden von Zilli, dem übermütigem Mader erzählt. Er hätte gut und gerne als Vorlage für Meister Eders Pumuckl dienen können.
Besucher, die ihn noch nicht kannten, fanden es amüsant, wenn ihnen das niedliche Tier -kaum dass sie in die Gute Stube eingetreten waren- auf die Schulter sprang und einige Zeit um ihr Ohr schmuste. Doch plötzlich verzerrte sich ihre Mine und ein Schrei des Entsetzens erfüllt den Raum. Der kleine Kobolt hatte sie unvermittelt ins Ohrläppchen gebissen, um sich an einem Tropfen frischen Blutes zu erfreuen.

Bei einer anderen Gelegenheit soll er einer Nachbarin unter den Rock geschlüpft sein.
Was er dabei im Schilde führte oder welchen Verlockungen er nachging, blieb sein Geheimnis.
Man kann sich unschwer vorstellen, welche Wirkung dies bei der Dame entfaltete.

Einer anderen Nachbarin, die gerade mehrere Hühner geschlachtet und gerupft hatte, stattete Zilli schnurstracks einen Besuch ab. Sie hatte die Federn in einem großen Zuber gesammelt, um aus ihnen später flauschige Kissen zu machen. Auf der Suche nach einem Huhn, das es irgendwo in der Wanne vermutete, sprang das wendige Tier immer und immer wieder in die randvoll gefüllte Wanne hinein, tauchte bis auf den Grund hinab und wirbelte so lange wild darin herum bis alle Feder in der Stube herum flogen, ganz entsprechend ihrer Natur. Aber ein Huhn fand der Zilli nicht. Die Nachbarin musste den Besitzer des Tieres zu Hilfe holen, denn selbst Hand anlegen, um dem Treiben Einhalt zu gebieten, getraute sie sich nicht.

Wenn Emma Keller im Haus nebenan vergaß, Tür und Fenster zu schließen, wenn sie die Küche verließ, war es um den Schoppen geschehen, den sie für die kleine Silvia zubereitet hatte. Zilli ließ sich nicht zweimal bitten. Flink wie ein Wiesel witschte der diebische Marder in die Küche und machte sich über das Fläschchen her. Als die Köchin wieder zurückkam, lag es flach und leer auf dem Tisch und wartete darauf, aufgerichtet und wieder befüllt zu werden.

Ja, Tiere sind kuriose Geschöpfe. Ohne sie wäre unser Leben ziemlich eintönig.

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