Wilhelm Schäfer – Ehren oder ächten?

Die Personalie Wilhelm Schäfer (1868-1952) gibt immer wieder Anlass zu heftigen Auseinandersetzungen.

In seinem Geburtsort Ottrau, wo er auch begraben ist, wurde im Sommer 2020 die nach ihm benannte Schule nach 70 Jahren umbenannt. Der Grund: Schäfers Verstrickung in das NS-Regime. Die Waldeckische Landeszeitung in Hessen überschreibt die Aberkennung am 13.07.2020 mit der Schlagzeile. „Ottrauer Wilhelm-Schäfer-Schule schließt mit dem Namen des Nazi-Autors ab.“

In Bodman, jedoch, ist der Lehrer, Dichter, Schriftsteller, Maler und Kulturmanager seit 1948 Ehrenbürger. In Ludwigshafen trägt die Straße, die über sein ehemaliges Grundstück führt, noch immer seinen Namen. Ist man in der Seeendgemeinde geschichtsvergessen? Sollte man nicht auch hier die Person Schäfers neu bewerten und entsprechende Konsequenzen ziehen? Ob man Schäfer ehrt oder ächtet, hängt davon ab, welchen Schäfer man vor Augen hat; einen vor dem Ersten Weltkrieg im Rheinland, oder einen ab 1918 in der Sommerhalde am Bodensee?

Schäfers literarisches Ansehen rührt aus der Zeit her, als er von 1900 – 1922 Herausgeber der Düsseldorfer Kulturzeitschrift „Die Rheinlande“ war. Er entdeckte und förderte junge Künstler, Maler und Dichter, Bildhauer und Architekten von der Schweiz bis an den Niederrhein. Einer seiner Zeitgenossen beschrieb ihn euphorisch als der „geborene Organisator“. Er hätte es verstanden, „Mäzene heranzuziehen und sie für junge Künstler zu erschließen.“ Als „Anreger und Befruchter für die Kunst“ hätte er Unvergängliches geleistet, mehr als alle Kultusminister der Länder zusammen.

Sein Ruf als Dichter und Schriftsteller gründete zum überwiegenden Teil auf seinen über einhundert Anekdoten. Orientierungspunkte waren ihm Johann Peter Hebel und Heinrich von Kleist. Nach dem 2. Weltkrieg gehörten seine kurzen Prosatexte zunächst noch zur schulischen Lektüre. Heute sind sie auch von dort ganz verschwunden. Schäfer verfaßte aber auch insgesamt vier Romane, die allesamt mit künstlerischer Freiheit die Biographie eines Helden aus der Geschichte nachzeichnen.

Auszeichnungen

  • 1927 Ehrendoktorwürde der Universität Marburg
  • 1932 Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main (Schäfer ist erster Träger dieser Auszeichnung, die 1947 als Goethe Plakette der Stadt Frankfurt a.M. neu begründet wurde und bis heute als Anerkennung für ein Lebenswerk vergeben wird.)
  • 1933 Ernennung zum Senator der ‚gesäuberten‘ Literatursektion der Preußischen Akademie der Künste
  • 1937 Rheinischer Literaturpreis
  • 1938 Medaille der Adalbert-Stifter-Gesellschaft, Wien
  • 1938 Ehrenbürger von Ottrau
  • 1941 Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main (höchste literarische Auszeichnung in Nazi-Deutschland)
  • 1942 Immermann-Preis der Stadt Düsseldorf
  • 1943 Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt
  • 1944 Aufnahme in Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ der wichtigsten Schriftsteller
  • 1948 Ehrenbürger von Bodman

War Wilhelm Schäfer später ein Nazi?

Für den NS-Parteigenossen und Ludwigshäfler Bürgermeister von 1933 – 1945 war er es jedenfalls nicht. Er denunzierte Schäfer im Frühjahr 1938 bei der SD-Außenstelle in Stockach, dem gefürchteten Sicherheitsdienst des NS-Systems.

Er warf ihm vor, dass er „vor der Machtübernahme strikter Gegner war“, die örtlichen KPD-Funktionäre (Kommunistische Partei Deutschland) finanziell unterstützte, Besuch von Juden hatte und sich „an keiner Angelegenheit des heutigen Werdens und sozialen Aufgaben beteiligte“. Die Anzeige blieb für Schäfer folgenlos, denn längst war er ein von den Nationalsozialisten geehrter Volksdichter mit den wichtigsten Auszeichnungen dieser Ära, der noch bis Kriegsende gute Beziehungen zu höchsten Stellen unterhielt. Er war in Hitlers „Gottbegnadeten-Liste“ der wichtigsten Schriftsteller zu finden.

Schäfer wirkte, obwohl er selbst kein Mitglied der NSDAP war und noch bei der Wahl von 1932 in einem öffentlichen Aufruf gegen Hitler auftrat, bereitwillig an Formulierung und Propagierung der Ziele der NS-Kulturpolitik mit. Er lieferte jene Schlagworte und Parolen, die man in den Propagandareden von Nazifunktionären wiederfindet. Die Nationalsozialisten wussten, was sie Schäfer als Propagandist des Völkischen und Erneuerer deutschen Wesens verdankten und wie er sich für ihre Zwecke einsetzen ließ. Mit den „Die dreizehn Bücher der deutschen Seele“ (1921), das zu vollenden er an den Bodensee gekommen war und das er später als sein Hauptwerk bezeichnete, wollte er dem deutschen Volk nach der Niederlage im 1. Weltkrieg und der Demütigung von Versaille eine Stütze an die Hand geben.

Diese „Bibel der Deutschen“ wurde Schäfers Eintrittskarte zur nationalsozialistischen Kulturgemeinde.
Von der Heimatliebe zum völkischen Fanatismus war es ist nur ein kleiner Schritt.

Die „Verdienste“ Schäfers um die Reanissance des Völkischen, seine Rolle als Ziehvater einer reichs- und volksbetonten Dichtung und sein „Amt als Gauwalter der Kulturbetreuung“ waren 1933 unbestritten. Schäfer schrieb und redete sich in der Folgezeit immer weiter in die dogmatische deutsch-nationale Ecke, als deren herausragender Repräsentant er dann schließlich galt. Die Konzentration auf das rein Deutsche, Volkhafte und Stammliche lag Schäfers gesamter Arbeit und Wirkungsabsicht zugrunde.

Zeitungsartikel aus dem Stockacher Tagblatt von 1933 und der Bodensee-Rundschau von 1938

Obwohl sich Schäfer vom Antisemitismus distanzierte und die kulturelle Leistung der Juden wertschätzte, war es ihm um die Zurückdrängung jüdischen Einflusses zu tun. Er nannte die Lebensauffassung der Juden „übervölkisch, international“. Der „intellektuelle Jude“ stelle „seinen Internationalismus“, in dem es nur noch Menschen und Weltbürger und keine Russen, Deutsche, Franzosen, Engländer etc. mehr gäbe, gegen sein (Schäfers) Volkstum.

Seit 1918 auf der Sommerhalde

Schäfer verlieh selbst seinem Umzug auf die Sommerhalde einen völkischen Ausdruck. „Seinem Werk zuliebe“ sei er in „die Sicherung dieser deutschesten Landschaft“ geflüchtet. Der Bodensee sei „deutscher Vollbesitz“. „Niemals, solange deutsche Geschichte war, habe an seinen Ufern ein welscher (=romanischer, insbesondere französischer) oder slawischer Laut geklungen“.

Die Schäfers empfingen und beherbergten auf der Sommerhalde Menschen aller politischen Überzeugungen und religiösen Konfessionen, ob Antisemiten, Juden, Nationalsozialisten oder Kommunisten. Es scheint so, als ob ihnen Freundschaft und Loyalität wichtiger waren als Partei- oder Religionszugehörigkeit.

Landschaftsbilder von Wilhelm Schäfer (Rechts das Seeende zwischen Bodman und Ludwigshafen)

Keine Wilhelm-Schäfer-Schule und keine Gedenkstätte in Ludwigshafen

Wenn die Grund-und Hauptschule im Ortsteil Ludwigshafen dem Schicksal entgangen ist, Wilhelm-Schäfer-Schule heißen zu müssen, dann wohl nicht wegen Schäfers Rolle in den Zeiten des Nationalsozialismus. Der damalige Schuldirektor hatte andere Gründe. Er sah in Schäfer kein ethisch-moralisches Vorbild. Denn zum einen war Schäfer zweimal geschieden und in dritter Ehe mit einer Frau verheiratet, die sich nach einer leidenschaftlichen Begegnung mit ihm von ihrem Ehemann, dem Dichter Emanuel von Bodman -einem Freund Schäfers- getrennt hat. Zum andern handelte eine von Schäfers Novellen von einem flüchtigen sexuellen Abenteuer, neudeutsch: One-Night-Standing.

Der Versuch, auf der Sommerhalde eine Gedenkstätte für Wilhelm Schäfer zu errichten, innigster Wunsch seiner Frau Blanche, scheiterte an Bürgerprotesten.


Man muss Wilhelm Schäfer, der sich in seinem ersten Lebensabschnitt um das literarische Leben in Deutschland verdient gemacht hat und ein ausdruckstarker Dichter war, nicht posthum ächten. Sein Bemühen um eine kulturelle und nationale Identität und ein neues deutsches Selbstbewusstsein lässt sich aus seiner Zeit, der Weimarer Republik heraus erklären und verstehen.

Aber es ist sicher berechtigt, darüber nachzudenken, ob es in unserer heutigen Gesellschaft und der aktuellen politischen Landschaft sinnvoll ist, einen Menschen zu ehren, der im Dritten Reich vehement ins Horn der nationalsozialistischen Propaganda gestoßen, die jüdische Bevölkerung in Deutschland als „Fremdkörper in unserem Volkstum“ bezeichnet und die Bücherverbrennung der Nazis von 1933, also die „Aktion wider den undeutschen Geist“, in Teilen gutgeheißen hat.

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