Das große Seifenkistenrennen – Tollkühne Piloten vom Luisen-Brunnen bis ins Dorf

Von großem Interesse für uns Redakteure und hoffentlich auch für die Leser von Seeen.de sind Zeitzeugenberichte, die uns übergeben werden und die wir dann redaktionell etwas aufarbeiten.

Ein wunderbares Beispiel hierfür ist der Bericht von Helmut Stoffel von einem wahrhaft besonderen Seifenkistenrennen.

In den Nachkriegsjahren gab es noch keine Fernsehgeräte oder gar Handys. Die jungen Burschen und Mädchen in Ludwigshafen beschäftigten sich in ihrer Freizeit weitestgehend im Freien, sofern es das Wetter zuließ. Sehr beliebt bei den Jungen war das Seifenkistenbauen und dann stundenlang damit herumzufahren. Besonders beliebt hierfür war für die Unterdörfler (unterhalb der Überlinger Straße) „d‘ Miele“ auf und ab zu fahren. D’Miele wurde der kleine Hügel an der Mosterei Andreas Sinner abwärts am Espasinger-Eck vorbei in die Hauptstraße genannt. Eine Seifenkiste bestand damals aus zwei Kinderwagen-Achsen mit vier Rädern und einem Brett, an welchem die Achsen befestigt waren.

Der kath. Kreisjugendverband Bezirk Stockach organisierte im Jahr 1947 oder 48, unter Aufsicht der französischen Besatzungsmacht, nun ein großes Seifenkistenrennen, an dem über 50 Teams teilnahmen. In heutiger Zeit würde auf dieser Strecke aufgrund berechtigter Sicherheitsbedenken ein Seifenkistenrennen sicher nicht mehr stattfinden, zumindest nicht in Deutschland.

Seifenkistenrennen gibt es auch heute noch und sie sind in manchen Regionen bis heute sehr populär. Üblicherweise fährt man eine leicht geneigte gerade Strecke abwärts, weil die Fahrzeuge recht instabil gebaut sind und Bremsen und auch Lenken oder sonstige Sicherheitstechnik nicht zu den zentralen Aspekten einer guten Seifenkiste zählen. Viele Seifenkisten schaffen es schon auf diesen einfachen Strecken kaum bis ins Ziel und der große Spaß für die Zuschauer besteht auch darin, dass die Seifenkisten vor dem Ziel auseinander fallen, ohne dass man sich um die Fahrer Sorgen machen muss. Die Streckenführung, die sich jedoch der kath. Kreisjugendverband Bezirk Stockach ausgedacht hatte, stellte die jungen Seifenkistenkonstrukteure vor gewaltige Herausforderungen. Es ging die „neue“ geteerte Bergstraße von Bonndorf runter bis nach Ludwigshafen. Der Start war am Luisen-Brunnen, das ist ungefähr zwei Kurven oberhalb vom „großen Ranken“. Von dort geht es mit gehörigem Gefälle in mehrere scharfe Kehren wie beim „großen Ranken“ hinab, bis nach Ludwigshafen.

Der damalige kath. Pfarrer Wetterer animierte seinen jungen Ministranten Helmut Stoffel, an dem Rennen teilzunehmen. Zwar war Helmut mit 11 oder 12 Jahren schon ein ganz passabler Seifenkistenkonstrukteur, doch für dieses Rennen bedurfte es doch eines solideren Gefährts als üblich und er konnte glücklicherweise seine Freunde Heinz Straub und Elmar Ill für das Projekt gewinnen. Im heutigen Zinnkrug war damals noch eine Schmiede seines Onkels, des Stoffel-Sepps, und auch dessen Geselle Gustav aus Bonndorf konnte für den Bau des Renners gewonnen werden. Aus einer simplen Seifenkiste wurde ein toller Rennwagen. Die Lenkung bestand aus einem Auto-Lenk-Getriebe und im Gegensatz zu sonstigen Seifenkisten hatte Helmuts Renner auch passable Bremsen, was für diese Strecke sehr hilfreich war. Die Räder waren nicht, wie sonst üblich, von Kinderwagen, sondern die jungen Burschen opferten die Räder ihrer Fahrräder und jedes Rad hatte dank Gustav auch eine Federung.

Das Konstruktionsteam arbeitete Tag und Nacht an dem Renner und auch am Renntag wurde bis morgens um 5 Uhr gearbeitet, um dem Rennwagen den letzten Pfiff zu geben, bevor es ins Bett ging.

Dummerweise waren Helmut und sein Freund Heinz Straub am Renntag auch noch für die Frühmesse zum Ministrieren eingeteilt. Doch dies war dann nicht auch noch zu schaffen und so zogen es die beiden vor, zumindest ein bisschen ausgeschlafen am Rennen teilzunehmen und auf das Ministrieren bei der Frühmesse zu verzichten.

Das Rennen bestand aus zwei Läufen. Das Teilnehmerfeld stammte aus dem ganzen Bezirk Stockach. Helmut und sein Team war das einzige Ludwigshäfler Team. Die Fahrer aus den anderen Gemeinden ahnten vermutlich nicht, was für eine Strecke sie bei diesem Rennen erwartete.

Im ersten Lauf fuhr der Fahrer allein, im zweiten Durchgang mit Beifahrer.

Helmut gelang in seinem rassigen Rennwagen ein guter erster Lauf, doch im zweiten Durchgang, mit Beifahrer Elmar Ill, erwiesen sich die Belastungen in den Kurven, die auf dieser Strecke auf das Gefährt, bzw. einzelne Komponenten durch das Gewicht von Fahrer und Beifahrer wirkten, als zu hoch. In einer Kurve knickte das hintere äußere Rad um. Zum Glück überschlug sich der Renner nicht und stürzte über die Böschung in die Tiefe, sondern schlitterte auf dem Unterboden weiter, bis er zum Stehen kam. Der große Traum, das Rennen zu gewinnen, war jedoch geplatzt. Sieger wurde ein Stockacher Rennteam, bestehend aus dem späteren Fotografen Gustav Hotz und Hans Martin, dessen Vater Konrad das Opel-Autohaus in Stockach gegründet hatte. Wie es den restlichen Fahrern erging und wie viele von Ihnen ihre Seifenkisten ins Ziel brachten ist nicht bekannt, aber vermutlich war der Ausfall von Helmut nicht der einzige auf dieser anspruchsvollen Strecke.

Pfarrer Wetterer begrüßte Helmut im Religionsunterricht am Montag nach dem Rennen mit den Worten: „Das war die Strafe Gottes“ und Helmut wurde wegen seines Fehlens in der Frühmesse aus dem Ministranten-Dienst entlassen. Ein weiterer Nackenschlag, nach der bitteren Enttäuschung beim Rennen.

Aber, der liebe Gott meinte es dann doch gut mit ihm und versetzte Pfarrer Wetterer in eine andere Gemeinde und der neue Geistliche Doktor Deuringer, mit dem Helmut sogar weitläufig verwandt war, stellte Helmut wieder als Ministrant ein. So nahm die Geschichte doch noch ein gutes Ende.

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