Fränsch fläär (french flair) oder Unsitte?
Wer erinnert sich noch daran? Wer hat es vielleicht in Frankreich einmal erlebt? Wer macht es selbst noch so? Kaffee und Milch in eine Schale statt in eine Tasse gießen und darin das Brot, das Hörnchen oder ein Stück „Zopf“ tunken, mitunter auch das Gebäck in Brocken darin schwimmen lassen.
Daher wurde diese Art, Kaffee zu genießen, bei uns „Kaffee und Brokkë“ genannt. Meist beim Frühstück, aber auch beim Z’niinë- oder Z’fiire-Essen war dies Usus. Beim Kaffeekränzchen der Damen wurde der Kaffee selbstverständlich in zierlichen Tassen serviert. Tunken oder brocken waren nicht angesagt. Bei diesem Anlass handelt es sich aber auch mehr um ein gesellschaftliches Zeremoniell als um eine Mahlzeit.
Man könnte meinen, das Eintunken und Aufweichen der Backwaren sei aus der Not geboren, weil sich die Zahnreihen bei älteren Menschen lichteten und früher nicht in jedem Fall zufriedenstellend ersetzt wurden. Sie konnten daher nur noch „kifflë“, d.h. nur die Kiefer zum Kauen der Nahrung zu Hilfe nehmen.
Auch gab es Brot früher nicht täglich frisch aus dem Ofen. Es wurde einmal pro Woche oder gar einmal im Monat gebacken. Und daher war es unvermeidlich, dass Brot bis zum nächsten Backtermin härter und trockener wurde. Es deswegen wegzuschmeißen oder an die Tiere zu verfüttern, wurde von vielen als Sakrileg empfunden. Brot behandelte man mit besonderer Ehrfurcht. Es hatte unter allen Lebensmitteln eine besondere Stellung, die sich in der Nähe von Heiligkeit bewegte. Im „Vaterunser“ wird nicht etwa gesagt: „Herr, gib uns jeden Tag zu essen“. Es heißt explizit: “ Unser tägliches Brot gib uns heute.“ Kein Laib Brot wurde zu Urgroßmutters Zeiten angeschnitten, ohne zuvor gesegnet worden zu sein.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Zahnlosigkeit und hart gewordenes Brot einst gute Gründe für die Gepflogenheiten gewesen sind, Brot in Kaffee zu tauchen. Aber nein, für Kaffee und Brokkë bedarf es dieser praktischen Argumente nicht. Es ist Brauch und ein ganz besonderes Genusserlebnis. Butter und gegebenenfalls Marmelade, rutschen nämlich beim Eintauchen vom Brot in den Kaffee und verleihen diesem eine besondere Geschmacksnote und ein an Suppe erinnerndes Aussehen durch die Fettaugen, die auf der Oberfläche schwimmen. Das ist aber nicht etwa ein unerwünschter Nebeneffekt. Nein! Genau so muss es sein! Es ist, könnte man sagen, Teil des Rezepts. Es gibt Personen, die sich erst gar nicht die Mühe machen, das Brot zuvor mit Butter und Marmelade zu bestreichen, sondern die beiden Zutaten direkt in den Kaffee rühren und darin dann das trockene Brot „baden“. 😉
Leider haftete und haftet bis heute diesem Brauch in deutschen Landen der Ruf des Ungebührlichen und Ungesitteten an. Vielleicht, weil es die städtisch-bürgerliche Gesellschaft als charakteristisch für die ländlich-bäuerliche Kultur erachtet, von der sich abheben will. Wie dem auch sei. In Deutschland hat es der Milchkaffee in der Schale bisher jedenfalls nicht in das gastronomische Angebot geschafft.
Anders in Frankreich.
„Café au lait“ in der „bol“ zu „schlürfen“ und ein buttriges Croissant oder Baguette hineinzutauchen, das ist absolut salonfähig und auch in guten Restaurants üblich.
Nescafé macht den Versuch, diesen Brauch auch in Deutschland zu etablieren; zumindest in den eigenen vier Wänden.
Und? Schon mal probiert?
Wie wir aus dem Film „Willkommen bei den Sch’tis“ wissen, tunkt man im Norden Frankreichs nicht nur Croissants und Marmelade-Brötchen in die Kaffeeschale, sondern auch einen durchdringend-streng riechenden, um nicht zu sagen stinkenden Käse names Maroilles, der geschmacklich und von der Konsistenz her mit den Käsesorten Limburger und Romadur vergleichbar ist. Der feine Herr im Film, der aus Paris kommt, ist anfangs nur durch den strengen Blick der Hausdame dazu zu bewegen, seinen Kaffee derart aromatisiert zu sich zu nehmen.
Die Kaffee-Schalen von heute präsentieren sich in modernem Design und bringen damit zum Ausdruck, daß es sich bei dieser Art des Kaffeegenusses um gelebte und wertgeschätzte Tradition handelt. Kaffee-Schalen von gestern werden heute zu ansehnlichen Preisen gehandelt. Aber wohl nicht immer, um sie auch zu benutzen, sondern um sie in die Vitrine zu stellen, wie einst die bunten Sammeltassen.
Kaffeetassen zum Sammeln, aus denen nie getrunken wurde
Sammeltassen waren weniger für den täglichen Gebrauch gedacht, sondern wurden als Repräsentationsstücke in den Vitrinen der Wohnzimmer zur Schau gestellt. Der Brauch, Tassen zu sammeln oder zu besonderen Anlässen zu verschenken, geht zurück auf die Biedermeier-Zeit im frühen 19. Jahrhundert. Sammeltassen waren beliebte Geschenke für die Aussteuer, zur Erstkommunion oder zum Geburtstag. Die Blütezeit der Sammeltassen im 20. Jahrhundert ging bis in die 1930er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte die Tradition noch für zwei Jahrzehnte fort, bis sie in den 1970er Jahren schließlich endgültig an Bedeutung verlor.