Wohin mit Speck und Schnaps?

In Bodman und Ludwigshafen endete der Zweite Weltkrieg am 24. April 1945 mit dem Einmarsch der französischen Armee, 14 Tage vor der Bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Die letzten Kriegstage zählten hier im Ort zu den turbulentesten, chaotischten und gefährlichsten Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Die Bevölkerung hatte sowohl unter den Kampfeinheiten und nationalsozialistischen Fanatikern der SS-Unterführerschule aus Radolfzell zu leiden, als auch unter den Übergriffen, Plünderungen und Vergewaltigungen der französischen Besatzungssoldaten und marokkanischen Hilfstruppen, die sich in ihren Häusern einquartierten. Anfangs geduldet wurden solche Vergehen bald hart durch die französische Militärführung bestraft.

Auch wenn man in einigen Häusern mit den französischen Soldaten versöhnlich -manchmal sogar freundschaftlich- zusammenlebte, sofern sie als Befreier empfunden wurden, wollte man doch nicht alles mit ihnen teilen. Hochprozentiges und Geräuchertes hoffte man über die ersten Tage der Besatzung hinweg retten zu können. Für Speck und Schnaps musste daher schnell ein gutes Versteck gefunden werden. Der Keller als traditioneller Vorratsraum wäre sicher das erste gewesen, was die „Gäste“ in Augenschein genommen hätten. Kammern, Schränke und Betten wären gewiss auch keine bessere Lösung gewesen. Blieb eigentlich nur noch der Heustock. Eben dort „verschoppte“ Ignaz Specht aus der Sernatingenstraße seine Vorräte und wähnte sie in Sicherheit.

Am Tag der Einquartierung stockte dem alten Specht dann der Atem. Es hieß, die französischen Offiziere logieren im Wohnhaus, die Soldaten des marokkanischen Regiments und deren Esel schlafen im Heu.

So! Hmm. Und jetzt? Wohin mit all den guten Sachen?

Wir wissen es nicht. Vielleicht kamen sie ja doch noch auf den Tisch. Denn es ist besser zu teilen und an der Verkostung teilzunehmen, als dass andere das Versteck aufspüren und die Vorräte still und heimlich alleine vertilgen.

Der Familie Specht fiel auf, daß die Marokkaner von den Franzosen selber nicht gut behandelt wurden.

So wird es für sie in der Scheune wohl kaum Speck und Schnaps gegeben haben wie für die französischen Herren im Haus, sondern nur „Habermues“.

Foto: Ignaz Specht mit seinem Enkel Ignaz Strobel.


Die panische Angst vor den „Marokkanern“

Die Anwesenheit der marokkanischen Regimenter versetzte in unserer Ortschaft viele in Angst und Schrecken. Es war für die einheimische Bevölkerung der erste direkte Kontakt mit zum Teil dunkelhäutigen Menschen aus Nordafrika, die einen Turban oder einen Fez und lange Mäntel trugen. Oft wirkten sie ausgemergelt und ungepflegt. Wenn sie nachts irgendwo gesellig beisammen saßen und ihre Trommeln und Schalmeien weithin zu hören waren, wurde dies von den Einheimischen als besonders furchteinflößend empfunden.

Durch die nationalsozialistische Rassenhetze und Kriegspro­paganda, die Schauergeschichten über die angebliche Grausamkeit marokkanischer Soldaten verbreitete, ist die Angst vor den Fremden schon vor ihrem Eintreffen geschürt worden.

Sie wurden als primitive, unzivilisierte, bestialisch mordende und vergewaltigende Schwarze dargestellt. Wer diesen zügellosen und rohen Kriegern, auch „Soldateskas“ genannt, in die Hände fiele, Frauen und Kinder nicht ausgenommen, dem würde kurzerhand die Kehle durchgeschnitten, so hieß es.

Auch die französische Armee nutzte diese Vorurteile, um den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen, indem sie an der Spitze ihrer Streitmacht oft ein Marokkaner-Regiment mar­schieren ließ. Selbst die Soldaten bedienten sich dieser Strategie, wenn sie sich eine Frau gefügig machen oder sie zum Sex zwingen wollten. Sie drohten ihr damit, sie den „Marokkanern“ zu überlassen, sollte sie sich ihrem Begehren widersetzen.

Ein Teil der Bevölkerung hielt nach dem ersten direkten Kontakt konsequent an seinen extremen Vorurteilen gegenüber Marokkanern fest oder sah sie durch persönliche leidvolle Erfahrungen bestätigt. Ein anderer Teil der Bevölkerung revidierte seine anfangs negative Einstellung und stellte fest, dass die Marokkaner nicht so böse waren, wie es immer gesagt wurde, ja manche sogar sehr „zutraulich“ waren.

Auf dem Foto posiert eine Frau mit dem Fez und dem roten Überwurf eines „Spahis“. (Angehöriger einer aus Nordafrikanern gebildeten französischen Reitertruppe.)

In historischen Quellen finden sich keine Hinweise darauf, dass marokkanische Soldaten in stärkerem Maße für Diebstahl und Vergewaltigungen verantwortlich gewesen sind, als französische, britische, amerikanische oder russische.


Von den während der Besatzung in Deutschland gezeugten ca. 250.000 Kindern kannten die allermeisten ihre Väter nicht, und ebensowenig wußten die Väter etwas von ihren Kindern. Häufig geschmäht, ausgegrenzt und gedemütigt, besonders wenn es sich um „Brown Babies“ handelte, waren die Mütter und ihre „Besatzungskinder“ auf sich alleine gestellt und erhielten keine staatliche Unterstützung. In ganz wenigen Fällen fanden nach dem Krieg Familien wieder zusammen und führten ein glückliches Leben.

„Besatzerkinder“ – „Brown Babys“ – in Tirol

Deutsch-Marokkanische Familie


Der 8. Mai 1945 markiert das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und den Sieg über den Nationalsozialismus. Er bedeutet das Ende des Unrechtsstaates, welcher die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen ermöglichte.
Dennoch ist in Deutschland das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft kein nationaler Gedenktag oder gar gesetzlicher Feiertag. Gefordert wurde es mehrfach von namhaften Vertretern unserer Gesellschaft. Andere europäischen Länder wie Frankreich, Tschechien und die Slowakei sind diesen Schritt gegangen.
In nur wenigen Bundesländern wurde der 8. Mai als Gedenktag eingeführt, darunter Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Berlin war der 08. Mai 2020 als 75. Jahrestag der Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht einmalig ein gesetzlicher Feiertag.
Das muss nachdenklich stimmen. War das Kriegsende denn nicht auch die Geburtsstunde unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung! Wurden nicht auch die Menschen in Deutschland vom Nationalsozialismus befreit!

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