So mancher Badegast am SeeEnde, der mit seinem Fuß an ein Stück Holz oder einen Steinbrocken stößt, hat nicht gleich die Vermutung, dass er eine prähistorische Berührung der besonderen Art hatte. Die Buchten am Westende des Überlinger Sees sind seit dem 19. Jahrhundert als bedeutende Fundstätten für Pfahlbausiedlungen bekannt, die sich mit seinen Anfängen bis in das Jahr 5000 v.Ch. zurückdatieren lassen. Dank naturwissenschaftlicher Analysemethoden können ganze Siedlungen jahrgenau bestimmt und ihr Werdegang nachgezeichnet werden.
Zu den bedeutenden Funden aus Pfahlbausiedlungen gehören die ältesten Textilien, sowie die ältesten Radfunde Europas und vermitteln wichtige Erkenntnisse zu Handel und Mobilität in Siedlungsgemeinschaften der Jungsteinzeit. Somit gewähren die Pfahlbaufundstellen am SeeEnde einzigartige Einblicke in die Welt der frühen Bauern und Fischer, deren Alltagsleben und technische Innovationen.
Bei uns am SeeEnde gibt es mehrere Pfahlbaustationen von denen drei als bedeutende Siedlungen zu nennen sind. Das Areal „Bodman-Schachen“, das seit 2011 in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen ist, die Fundstelle „Ludwigshafen-Holzplatz“ und das Pfahlfeld „Ludwigshafen Seehalde“.
Die Besonderheit dieser Pfahlbaustationen ist die Qualität der Fundstücke, die im feuchten Milieu des Sees ideale Erhaltungsbedingungen für organische Materialien wie Holz, Textilien und Pflanzenreste haben. Dieser Vorteil ist auch gleichzeitig ein Problem. Die Pfahlbauten sind mehrere Meter unter der Wasseroberfläche und so für den Besucher nicht sichtbar. Die archäologischen Ermittlungen können nur kompliziert unter Wasser und meist nur in kalten Jahreszeiten, wenn ausreichend Sicht herrscht, durchgeführt werden.
Fundstelle Bodman-Schachen/ Löchle
Das genaue Datum der Entdeckung der Station Bodman-Schachen ist nicht bekannt. Sie dürfte zwischen 1854 und 1866 entdeckt worden sein, die durch ein Dokument von A. Ley aus dem Jahre 1866 bestätigt wird, der laut dieser Aufzeichnung die ersten Funde am Schachenhorn schon einige Jahre zuvor getätigt hat. Die Fundstelle liegt in einer außergewöhnlichen topografischen Situation, nämlich im Verlandungsdelta der Stockacher Aach.
Für die Archäologie ist diese Stelle im Naturschutzgebiet vor allem für die frühe Bronzezeit von überregionaler Bedeutung. Die Erhaltungsbedingungen sind hier ausgezeichnet und die gut erhaltene dreiphasige Stratigraphie (Schichtenfolge) in Süddeutschland einzigartig. Nach der ersten Entdeckung der Pfahlbauten am Schachenhorn, wurden Funde in diesem Areal, wie in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. üblich, ausgebeutet, verkauft oder eingetauscht, sodass sich diese Fundstücke weltweit in den prähistorischen Abteilungen der Museen wiederfindet.
Eine überwältigende Anzahl mehrerer tausend Fundstücke befinden sich vor allem in den Museen von Konstanz und Karlsruhe. Aber auch in der Gräflichen Sammlung Bodman und in der Sammlung des Altbürgermeisters Karl Weber und seines Sohnes Paul Weber. Deren Nachforschungen ist es zu verdanken, das zahlreiches Fundmaterial in der Region verblieb.
Fundstelle Ludwigshafen-Holzplatz
Dieser Uferbereich von Ludwigshafen wurde immer wieder von Sammlern abgesucht, die bei Niedrigwasser freigespülte Funde auflasen. Ihre Fundmeldungen führte ab 1979 zu einer systematischen Kartierung durch das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg. In den Jahren 1980-1983 beschäftigten sich Archäologen intensiv mit der Flachwasserzone vor dem Holzplatz, also westlich des Hafens und der Steganlagen vor Ludwigshafen.
Durch taucharchäologische Untersuchungen konnte hier auf einer Uferlänge von 300 m ein Pfahlfeld festgestellt werden. Beachtenswert sind die entdeckten Kulturschichten, die ganze Lagen von Siedlungsabfällen, die sich in Seekreide eingebettet, seit der Urzeit unverändert erhalten hatten. Darin befindet sich pflanzliches Material, wie z.B. Zweige, Holzspäne, Dreschreste, Nahrungsabfälle, sowie Tierknochen, Scherben von Tongefäßen und verschiedene Steingeräte.
Die zeitliche Einordnung der „Holzplatz“ Siedlung bewegt sich einerseits in der jungsteinzeitlichen „Horgener“ Kultur um 3300 – 2880 v.Chr. und der frühen Bronzezeit um 1700 – 1500 v. Chr. Der Nachweis einer Kulturschicht der Frühbronzezeit war von besonderem wissenschaftlichem Interesse, denn Kulturschichten diese Zeit sind am Bodensee selten erhalten geblieben.
Im Bereich des Yachthafens sind die Siedlungsreste, auch durch Baggerungen und Aufschüttungen, weitgehend zerstört. Um die Mündung des Mühlbaches können sie jedoch wieder nachgewiesen werden. Gefäßscherben und zahlreiche Steingeräte, vor allem durchlochte Hammeräxte und Beilklingen aus Pellitquarz und Edelserpentin verraten die ehemalige Existenz von Siedlungen der „Pfyner Kultur“ um 3800 -3500 v.Chr.
Fundstelle Ludwigshafen-Seehalde
Lange Zeit war dieses Areal unerforscht, das den Namen des benachbarten Gewanns „Seehalde“ trägt. Nur Oberflächenfunde im Flachwasser zeugten von ihrer Existenz, doch in den Jahren 1989/ 1990 stellten sich vermehrt Funde von der Seehalde in Privatsammlungen ein. Darunter zahlreiche verziegelte Hüttenlehmbrocken, Teile von lehmverputzten Hauswänden mit Flechtwerkabdrücken. Unter diesen befanden sich Fragmente mit Resten einer Bemalung mit weißen Linien und Punkten. Die Erkenntnis, dass hier eine Siedlungsschicht in den Erosionsbereich gekommen ist, die einen außergewöhnlichen Befund enthielt, führte im Frühjahr 1990 zur Aufnahme von taucharchäologischen Untersuchungen und umfangreichen Vermessungsarbeiten.
Die Arbeiten brachten einen Sensationsfund in Form eines „Kulthauses“ zutage. Das Haus mit den bemalten Wänden hatte eine Länge von etwa 8m und passt ungefähr zur Länge eines jungneolithischen Pfahlhauses im Bodenseegebiet. Die ältesten Wandmalereien nördlich der Alpen wurden gefunden.
Der hervorragende Zustand der Malereien ist wohl einem Siedlungsbrand zu verdanken, der die Malereien erhitzte und dadurch hart werden ließ. Besonders aufregend waren ebenfalls weiß bemalte und aus Lehm naturalistisch geformte, weibliche Brüste. Ein Sensationsfund! Die aus Lehm geformten Brüste, die durch Winkelmuster voneinander getrennt einen Bildfries bilden, lassen sich in etwa erschließen. Es dürften Stammbäume einzelner Familien- oder Klanggruppen und ihre Ahnfrauen sein.
Durch diese außergewöhnlichen Befunde waren tiefere Einblicke in die ansonsten kaum erschlossene rituelle Sphäre der Ufersiedlungen möglich. Nach Zusammensetzung der Funde ergaben sich mindestens sieben weibliche Gestalten, die vor allem aus der Darstellung lebensgroßer Oberkörper wiedergegeben wurden.
Im Bereich des Strandbades und entlang des Seeufers in Richtung Sipplingen fanden sich, durch Badebetrieb und Abspülung bei Wellenschlag, sechs freigelegte Kulturschichten, die als schmale Streifen an der schräg abfallenden Halde deutlich zu erkennen sind. Wie bereits bei den Fundstellen Schachenhorn und Holzplatz, fanden sich hier Keramikscherben, gut erhaltene gehenkelte Becher und die charakteristisch durchlochten Schlammplatten, die ein Einsinken der Pfähle in den weichen Untergrund verhindern sollten.
Mit diesen Fundstellen zeichnet sich am Westende des Überlinger Sees, eine über ein Kilometer lange Konzentration von Siedlungen dieser Zeitstellung ab. Einzigartige und höchst bedeutsame Funde aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit liegen vor unserer Haustüre. Unsichtbare Zeugen der Vergangenheit befinden sich teilweise noch unberührt im Seeschlamm.
Experten gehen davon aus, dass noch massenhaft Unentdecktes entlang des Seeufers schlummert. Aus den Augen, aus dem Sinn gilt hier übertragen auch für die unglaublichen Schätze und wertvollen Zeitzeugen unserer Ahnen, weil sie unterhalb der Wasseroberfläche liegen. Doch mit etwas Aufmerksamkeit werden wir immer wieder an sie erinnert.
Mit zwei außergewöhnlichen Spielplätzen in beiden Ortsteilen, die Pfahlbau-Dörfer nachstellen. Hinweistafeln, die das Verborgene sichtbar machen. Vielleicht auch ein Bewusstsein, wenn wir beim nächsten Seeschwimmen die historische Dimension unter uns erahnen.