Se(e)hzeichen – Telekommunikation ohne Strom und Satelliten

Der gelbe Korb an der Mastspitze bedeutete „Sturm“

Die Hafenmauer gibt an manchen Stellen Anlaß zum Rätseln. Über die seltsamen Löcher und Kerben im Geländer der Hafenmauer wird an anderer Stelle berichtet. Doch es gibt noch weitere stumme Zeugen vergangener Epochen. Im Bereich des „Hafenkopfs“, also an der Spitze der Hafenmauer stecken seewärts zwei imposante Kappbügel oder Klemmschellen im Gemäuer.

Wozu könnten sie gedient haben?

Die oxidierten Eisenteile sind Relikte aus einer Zeit, als die Hafenmauer noch nicht verkabelt und mit einem ferngesteuerten Leuchtwarnsystem ausgestattet war. (Früher auf beiden Seeseiten installiert, heute nur noch in Bodman.) Wenn Sturm aufzog, wurde händisch ein gelber, kugelförmiger Korb gehisst. Und der Mast, an dem dieser „Wetterballon“ empor gezogen wurde, steckte in diesen Klemmen. Halbmast bedeutete Vorwarnung; bei Sturmwarnung war er an der Mastspitze zu sehen. Auf einem alten Luftbild ist das retuschierte Artefakt noch zu erkennen. Zuständig für diese verantwortungsvolle Aufgabe war u.a. dë „Hurbertoni“, alias Anton Huber, der früher auch als Narrebolzei im Einsatz war.

Die Nebelglocke war eine Art Echolot

Bei Nebel waren visuelle Zeichen nutzlos. Dafür gab es akustische. Die Nebelglocke kam zum Einsatz. Radar gab es auf den Schiffen noch nicht. Sie wurde beim Herannahen der Kursschiffe in möglichst gleichbleibender Lautstärke und Frequenz geschlagen bis diese anlegten. Die Glocke sorgte auf diese Weise nicht nur für eine Richtungsorientierung, sondern lieferte auch einen Hinweis auf die Entfernung zum Hafen. Je näher man kam, desto lauter hörte man den Ton.

Die Internationale Schifffahrts- und Hafenordnung für den Bodensee vom 22. September 1867 machte den Einsatz von Nebelglocken verpflichtend:

In jedem Hafen muß eine helltönende Glocke, die sogenannte Nebelglocke, angebracht sein, welche bei Nebel und starkem Schneegestöber spätestens eine Viertelstunde vor der cursplanmäßigen Ankunftszeit der regelmäßigen und der angekündigten Extradampfboote bis zur Einfahrt in den Hafen in kurzen Zwischenzeiten geläutet werden muß.

Leider wurde die Glocke während der Renovierungsarbeiten der Hafenmauer im Jahre 1986 gestohlen, obwohl dë „Schtrobelwalter“, alias Walter Strobel, rechtzeitig und wiederholt davor gewarnt hatte.

Ninnt hät’s gnitzt

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Doch auch wenn der See ruhig, der Himmel blau und der Weitblick ungetrübt war, konnte es Gründe für den Einsatz von Se(e)hzeichen geben. Dann nämlich, wenn sich beim Zahnarzt Dr. Pirschel ein Notfall meldete. Oder wenn den Berufsfischern vom Bodanrück nach einem Landgang am Schweizer Ufer im heimischen Hafen Gefahr drohte. Aber eins nach dem andern.

Das rote Tuch am Fenster bedeutete „Rückkehr“

Wer von seinem Fenster einen so herrlich Blick auf das Seeende hat und auch noch ein begeisterter Segler ist, der hält es in seiner Zahnarztpraxis nicht lange aus, wenn es dort nichts mehr zu tun gibt. Warteten im Vorzimmer keine Patienten mehr auf ihre Behandlung, hieß es für Dr. Pirschel: Leinen los und Segel setzen! Bei zahnärztlichen Notfällen wollte er natürlich schnellst möglich wieder zur Stelle sein. Ein rotes Tuch am Praxisfenster bedeutete Rückkehr. Für den einen zurück an die Arbeit, für den anderen zurück zu einem Leben ohne Schmerz. „Wenn au id immer tutswitt.“

Das weiße Tuch am Fenster bedeutete „Weiterfahrt“

Wie vom letzten bodmaner Berufsfischer zu erfahren war, machten die Fischer, die den Obersee befuhren und ihren Hafen in Wallhausen hatten, gelegentlich einen Landgang am Schweizer Ufer. Man deckte sich im Nachbarland mit Zucker, Kaffee und Schokolade ein, teils der besseren Qualität, teils des günstigeren Preises wegen. Die Fischer betrachteten sich selbst als Schnäppchenjäger, die Zollbehörden hingegen sahen in ihnen Schmuggler, denen das Handwerk zu legen war. Dazu errichteten die Beamten im Fischerhafen von Wallhausen einen Check-Point, eine zum Land hin offene Kabine, in der sie auf die zurückkehrenden Fischer warteten.
Aber wie so oft sind „Delinquenten“ den Ordnungshütern einen Schritt voraus, denn jedes Hindernis beflügelt bekanntlich die Kreativität und den Ehrgeiz der Menschen, es zu überwinden.
Längst hatten die Fischer mit einer Frau, die das Haus hinter dem Zollhäuschen bewohnte und besten Einblick hatte, ob es besetzt war, einen Pakt geschlossen. Gegen einen kleinen Anteil an der „Beute“ signalisierte sie mit einem weißen Betttuch die Anwesenheit der Fahnder. Anstatt an Land zu gehen, zogen die Seefahrer weiter und kehrten erst zurück, wenn die Luft rein war.

Doch eines Tages schien das Spiel nach anderen Regeln zu verlaufen. Die Zollbeamten hatten ein Foto zugespielt bekommen, auf dem die Fischer mehr schlecht als recht beim Kaufen der Ware in jenem Schweizer Laden zu sehen waren. Ein Motorboot im Hafen liegend hatten sie sich auf die Rückkehr der Fischer vorbereitet. Als diese, durch das weiße Laken am Fenster gewarnt, vor der Hafeneinfahrt wieder abdrehten, nahmen sie die Verfolgung auf. Doch zu ihrem Pech fehlten ihrem Gefährt die nötigen „Pferdestärken“, um dem Fischerboot Paroli zu bieten, und so mussten sie ihr Unternehmen schon bald wieder aufgeben. Das sollte aber nicht bedeuten, dass sie auch bereit waren, ihren Plan aufzugeben, die „bösen Buben“ dieses Mal zur Strecke zu bringen. Geduldig harrten sie im Hafen aus.

Der Einbruch der Nacht zwang die Geflüchteten zurückzukehren und anzulanden. Zur großen Verwunderung der Fahnder förderte die Inspektion des Bootes aber keinen Hinweis auf ein Corpus Delicti zu Tage. Denn die ganze Zuckerladung hatte zuvor ihren letzten Gang am Teufelstische angetreten, wo sie Sack für Sack vom Boot ins Wasser rieselte und den Laugele für kurze Zeit das Leben versüßte.
Ohne Indizien in Händen mussten die Beamten schließlich auch die Unschuldsbeteuerungen der Fischer hinnehmen, die ihre Identität auf der wohl etwas undeutlichen Fotografie, die ihnen vor die Nase gehalten wurde, beharrlich leugneten. „Grad nomol gschlupft!“


Mögen diese Geschichten zur Beruhigung all jener dienen, die bisher glaubten, ohne Strom und Satelliten sei eine effiziente Übermittlung von Nachrichten nicht möglich. Natürlich gibt es Unterschiede hinsichtlich der Datenmenge und des Senderadius. Aber für lokale Bedürfnisse und kurze Botschaften leisteten die alten Fernmeldetechniken aus der Vorzeit des Handys gute Dienste. Mit Rauchzeichen, Leuchtfeuer, Spiegelsignalen, Brieftauben, etc. gab es derer noch mehr. Mit Fähnchen signalisierten an Fronleichnam einige Messdiener, die an strategischen Punkten als „Streckenposten“ platziert waren, dem Glöckner in der Sakristei, wann an den vier in Feld und Flur aufgebauten Altären die „Wandlung“ vollzogen wurde und er die Glocken zu läuten hatte.

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