Festival de Musica Latinoamericana

Wir sind total erschlagen von diesem Andrang, den wir uns also in dieser Masse überhaupt nicht vorstellen konnten.
Mit diesen Worten leitete Siegfried Karle das Festival de Musica Latinoamericana am 23. Mai 1987 ein.


Übersetzt heißt das: 596 zahlende Gäste, also 246 Personen mehr, als der Bestuhlungsplan mit 350 Plätzen für das Gemeindezentrum damals vorsah. Nicht mitgerechnet sind die vielen Besucher und Besucherinnen, die das Ereignis gratis im Foyer und vor dem Haupteingang stehend oder tanzend miterlebten. Die Schiebetüren am Saaleingang mussten deswegen geöffnet werden. Um mehr Besucher als üblich unterzubringen, war bereits im Vorfeld die rechte Tischreihe durch eine Theater-Bestuhlung ersetzt worden. Die Bewirtung verlangte akrobatische Fähigkeiten; im Bild Michael Harter.

Die Fassungslosigkeit des damaligen Vereinsvorstandes der Dorffreundschaft Maygas-Ludwigshafen war echt. Gab es in der Planungsphase bei den älteren Vereinsmitgliedern doch erhebliche Vorbehalte, ob das Vorhaben den gewünschten Erfolg haben oder nicht gar ein Flopp und ein riesiges Verlustgeschäft werden würde. Angesichts der hohen Investitionskosten -die Künstlergagen beliefen sich allein schon auf DM 2.600,00- riet die ältere Vereinsgeneration von dem Unternehmen ab. Dabei hatten sie zurecht die Verantwortung für das Vereinsvermögen im Blick, das satzungsgemäß für Hilfsprojekte in Lateinamerika bestimmt war und nicht für Unterhaltungsveranstaltungen in heimischen Gefilden.

Natürlich ging es bei diesem Event nicht zuletzt darum, eine kulturelle Brücke zu den Menschen in Lateinamerika zu schlagen, das entwicklungspolitische Bewusstsein zu fördern und die Attraktivität des Vereins im Interesse der Mitgliederwerbung zu erhöhen. Ob aber diese satzungskonformen Gründe ausgereicht hätten, sich gegen kritische Stimmen durchzusetzen, die bei einem Verlust wahrscheinlich eine Veruntreuung von Spendengeldern angeprangert hätten, war mehr als fraglich. Zu überzeugen waren die Skeptiker im Verein letztlich nur dadurch, dass sich die von der Idee begeisterte Vereinsjugend verpflichtete, einen etwaigen finanziellen Verlust durch zusätzliche gewinnbringende Aktionen wieder wett zu machen. Der lebhafte Vorverkauf, durch den fast alle Platzkarten ausgegeben wurden, und das erfolgreiche Sponsering, durch das die Musikergagen weitgehend gedeckt waren, sorgten bei den Bedenkenträgern schließlich für Entspannung. Die Sponsoren waren damals noch mit einer namentlichen Erwähnung in der Konzertbeilage zufrieden.

Promotion bis kurz vor Bußgeld

Um ein Publikum davon zu überzeugen, dass in einem katholischen Gemeindezentrum einer kleinen Gemeinde, die bisher nicht durch Musikfestivals in Erscheinung getreten war, fetzige Rhythmen zu hören sein würden, die einen Besuch lohnten, dazu brauchte es Werbung auf allen Ebenen. Die Konkurrenz in der regionalen Musikszene war schon damals groß. Es wurden Anzeigen geschaltet, wo immer es ging. Sie mussten sich gegen viele andere interessante und ähnliche Angebote behaupten. In diesem Zeitraum spielten z.B. in der „Zehntscheuer“ in Ravensburg die Gruppe „Machu Picchu – La Energía solar de los Andes“ und in der „Seekuh“ in Konstanz die afrokubanische Band „Ritmo Chévere – Geile Rhythmen“. Noch viele weitere musikalische Highlights wetteiferten in diesen Tagen im Veranstaltungskalender der „Bodensee KULTUR-BLÄTTER“ miteinander.

Beim Aufhängen der Plakate hätte der Werbe-Eifer der jungen Aktivisten dann fast zu einen Bußgeld geführt. Mehrere Bäume entlang der Zufahrtsstraßen nach Ludwigshafen, vom Dettelbach bis zum Holder, waren als Werbeträger vereinnahmt worden. Dass dies nicht zulässig ist, erfuhren sie bereits nach wenigen Stunden von der Polizei, die zum Glück bei sofortiger Beseitigung der Plakate von einer Strafe absah. Aber auch ohne Bäume zeigten die Werbe-Bemühungen Wirkung. Besucher kamen aus der ganzen Region. Viele unbekannte Gesichter mischten sich unter die einheimischen. Der Saal platzte aus den Nähten.

Große Show mit kleinem Budget

Mit ein paar Schilfmatten, die zu drei kleinen Hütten zusammengezimmert worden waren, um ein tropisches Strand-Ambiente zu erzeugen, war für das Bühnenbild eine kostengünstige Lösung gefunden worden. Für eine angemessene Tontechnik ließ sich allerdings kein kommerzielles Angebot auftreiben, das dem schmalen Budget der Veranstalter gerecht geworden wäre. So war man froh über die kleine Anlage des Musikvereins mit ihren fünf Mikrophonen, die für ortsübliche Veranstaltungen bisher immer ausgereicht hatte. Allein die drei Musiker aus Brasilien hatten mindestens ein Dutzend davon erwartet für Congas, Bongos, Timbales, Drums, Maracas, Tamburines etc. Jedes ihrer Schlaginstrumente sollte optimal ausgesteuert werden und daneben brauchte es noch je ein Mikrophon für die Stimme.

So peinlich die Lage auch war, es gab an diesem Abend keine Möglichkeit mehr, sie zu ändern. Zur Überraschung aller nahmen es die Schlagzeugartisten absolut „cool“. Sie beschwerten sich nicht lange, sondern zogen aus ihrem Tournee-Bulli verschiedenes eigenes Equipment hervor, mit dem vorhandenes ergänzt wurde. Doch da tat sich ein weiteres Problem auf. Die Stecker passten nicht zu Buchsen. Den drei Brasilianern schien dies kein unüberwindbares Hindernis. Rasch stellte sich heraus, dass sie nicht nur Perkussions-, sondern ebenso gute Improvisationskünstler waren. In der kleinen Pause während des Umbaus trennten sie die inkompatiblen Stecker kurzer Hand ab, entfernten mit einem Messer die Isolierung der Kabel und steckten diese „nackt“ in die Buchsen. Klaus-Peter Mellert, der zuvor die Regie am Mischpult hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, befürchtete das Schlimmsten und lehnte jegliche Verantwortung für das weitere Geschehen ab. Zu Unrecht! Die Technik funktionierte und hielt durch bis zum Ende. Xango ließ es dermaßen krachen, dass offenbar noch in der Mühlbachstraße die „Wände wackelten“. Der Schwabgustel, der sich in seiner Nachtruhe gestört fühlte, drohte gar damit, die Polizei zu rufen.

Bei Mouse-Klick auf die Fotos öffnet sich in einem neuen Fenster ein kurzes Video. Die Amateur-Aufnahmen eines Besuchers sind zwar von keiner besonderen Qualität, geben aber dennoch einen guten Eindruck von dem Ereignis.

„Tierra“, Mexiko
„Amaru-Inka“, Peru
„Xango“, Brasilien

Nachspiel und Langzeitwirkung

Jung, gut aussehend und dynamisch, wie sie nun einmal alle waren, spielten sich die Musiker in die Herzen vieler jungen Damen. Daraus wußten vor allem die beiden Gitarristen aus Mexiko Kapital zu schlagen: Sie ließen keine Offerte ihrer lebensfrohen und freizügigen weiblichen Fans ungenutzt. Für die Veranstalter bedeutete dies, nach dem Konzert noch tagelang Anfragen nach dem Verbleib der Gruppe beantworten zu müssen. „Wo sind sie geblieben? Wie sind sie zu erreichen? Wo werden sie das nächste mal auftreten?“

Auch im Verein sorgte der Erfolg der Veranstaltung für große Begeisterung. Man wäre bereit gewesen, eine solche Aufführung schon im Spätsommer als Openair-Konzert in den Parkanlagen zu wiederholen, übte sich aber in Zurückhaltung. Denn „Übermut tut selten gut!“, wie man ja weiß. Musikalische Events gehörten aber ab diesem Tag noch eine geraume Zeit zum Veranstaltungsportfolio der Dorffreundschaft Maygas-Ludwigshafen.

  • Die zweite Auflage des Festivals de Musica Latinoamercana folgte dann zwei Jahre später am 27. Mai 1989 mit dem Gesangsduo „Quilpe“ aus Chile, der Gruppe „Intiraymi“ aus Peru und natürlich mit „Xango“, aus Brasilien.
  • Am 20. Mai 1990 gastierte Susanna Baca, die „Schwarze Stimme“ Perus und UNICEF-Sonderbotschafterin für Kulturarbeit, mit ihrer Band in der Obsthalle in Bodman.
  • Am 15. Juni desselben Jahres waren im Bodmaner Torkel feurige Zigeuner-Jass-Rhythmen des bekannten „Hän’sche Weiß“ Trios zu hören. Eine Veranstaltung, die zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. arrangiert wurde.
  • Und am 9. Mai 1992 kam es mit dem Egbert Eisenhardt Tanzorchester im Big-Band-Sound zu „Maitanz -mit May-gas“.

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