Johannes Hüglin – Pfarrer, Mediator, Ketzer und Held

In der SeeEnd-Gemeinde Bodman-Ludwigshafen ist es üblich, die Straßen nach Gewannen (Flurnamen vermerkt im Liegenschaftskataster), nach markanten Gebäuden, historischen Begebenheiten oder prägenden Ereignissen zu benennen. Ganz selten gibt es Straßennamen von Persönlichkeiten aus der Doppelgemeinde. Einerseits, um Problemen aus dem Weg zu gehen, die sich bei intensiven Recherchen aus der Vergangenheit ergeben könnten und andererseits, um Diskussionen über irgendwelche Benachteiligungen einzelner Personen von vorneherein auszuschließen. Und doch gibt es Ausnahmen. Es sind Persönlichkeiten, die durch ihr Handeln und Wirken einen prägenden Eindruck bei der Entwicklung des Dorfes und der Dorfgemeinschaft bewirkt haben.
Einer davon ist Johannes Hüglin. Wer war dieser Mann?

Laut Überlieferung des Meersburger Ketzereiprozesses bestieg der Sernatinger Frühmesser Johannes Hüglin, am 10. Mai 1527 in Meersburg den Scheiterhaufen, nachdem er zuvor in einem Schauprozess als Ketzer verurteilt worden war. Die Prozessakten sind nicht mehr auffindbar, scheinbar verloren. Dass die Nachwelt überhaupt von den Ereignissen Kenntnis hat, ist einem anonymen Prozessbeobachter zu verdanken, der als Ohr- und Augenzeuge der öffentlichen Hinrichtung beiwohnte und anschließend voller Entrüstung über die unfaire Prozessführung und das skandalöse Urteil, ein kritisches Protokoll der Verhandlung drucken ließ und in Umlauf brachte.

Diese anonyme Flugschrift und eine Gegendarstellung (in zeitlicher Nähe) von zwei Prozessverantwortlichen, wurden von bekannten Chronisten sehr kritisch bewertet, da dies die einzigen offiziellen Dokumente zum Ketzerprozess um den Sernatinger Frühmesser Johannes Hüglin sind. Beide Drucke bergen eine gewisse Gefahr, da sie parteiisch sind. Die eine aus Sicht der Ankläger, die andere aus Sicht eines Verteidigers. Die Chronisten bestätigen jedoch einen hohen Realitätsgehalt, da beide Drucke eine übereinstimmende Darstellung des Prozessverlaufes beinhalten.
„Quod quomodo factum“ – so war es!

Aus dem Leben von Johannes Hüglin gibt es nur wenig Unterlagen. Er wurde als Sohn eines armen Tuchscherers in Lindau geboren. Seine Ausbildung zum Priester erhielt er in den Klosterschulen Konstanz und Reichenau. Vom Bürgermeister und Rat der Reichstadt Überlingen bekam er die „Friepfründe“ für die Kirchengemeinde Sernatingen. Seit dem 3. März 1523 wirkte er als Priester in Sernatingen, wo es seit 1437 die „Friemesspfründe“ gab. Dies bedeutete, dass der Frühmesser von Sernatingen vier Messen pro Woche vor Sonnenaufgang lesen musste und dafür Unterhaltsausgleich bekam. Laut der „Sernatingen Chronik“ war Hüglin mit Els Fritzin von Schmidhoff verheiratet, was aber aus der Synode von 1022 von Papst Bendikt VII eigentlich verboten war.

Johannes Hüglin war ein überzeugter Verkünder der Reformation und wandte sich vehement gegen den Ablasshandel, den Verkauf ewigen Lebens gegen klingende Münze. Er stellte sich für die gerechte Sache auf die Seite der Bauern, lehrte sie die neue Freiheit und Zuversicht und schrieb ihre Forderungen auf. Diese, den Adel und der Kirche gegenüber herausfordernden Taten und sein unbeugsamer Wille, dasselbe zu verteidigen, waren letztendlich sein Verderben.

Verhaftete Bauern nach dem Bauernkrieg 1525. Die Rache der Obrigkeit war grausam.

Bei der Hilzinger Kirchweih am 2. Oktober 1524 begannen im Hegau die Bauernkriege. Nach einer ersten Machtdemonstration der Bauern kam es am 10. Oktober zu Verhandlungen mit der Reichsstadt Überlingen, bezüglich eines Stillhalteabkommens. Da das Dorf Sernatingen der Reichsstadt Überlingen gehörte, wurde es als Aufmarschgebiet für die Truppen der Reichsstadt und des Adels genutzt. Die Bauern in Sernatingen und den umliegenden Ortschaften wollten alsbald die gleichen Rechte und Änderungen erreichen, wie ihre Standeskollegen aus dem Hegau. Hier kam Johannes Hüglin als wohl einziger gelehrter in Sernatingen ins Spiel.

Da er bereits seit 12 Jahren Pfarrer im Dorf war, kannte er seine „Schäfchen“ sehr gut und versuchte alles, um ihnen bei ihren Anliegen zu helfen, aber auch, um sie vor dem Adel zu schützen. So verfasste er neben Beschwerden auch Forderungen, die sogenannten 12 Artikel, der Bauern und übernahm die schriftlichen Verhandlungen mit der Obrigkeit in Stockach. Doch die spätere Niederschlagung des Bauernaufstandes 1525, auch bekannt als die „Sernatinger Meuterei“, führte auch zu seinem eigenen Ende.

Während zahlreiche Sernatinger Bauern unmittelbar nach Beendigung des Bauernkriegs als Aufwiegler und Mitläufer von der Obrigkeit in Überlingen bestraft wurden, war Hüglin zunächst nicht belangt worden. Es gilt als sicher, dass er später in den Strudel des Glaubenskampfes zwischen dem nach Meersburg exilierten Bischof von Konstanz und der starken Reformationsbewegung kam. Ende Januar 1527, also knapp 2 Jahre nach Ende des Bauernkrieges, wurde Hüglin verhaftet und kam in das Gefängnis vom ehemaligen Bischof von Konstanz, nach Meersburg. Trotz einer Bittschrift seiner Schwester wurde Hüglin nicht entlassen. Es ist davon auszugehen, dass Hüglin im „Hungerturm“ des Meersburger Gefängnisses einer „peinlichen Befragung“, also der Folter ausgesetzt war, um ein Geständnis aus ihm herauszupressen.

Sein Prozess am 10. Mai 1527 fand vor einem geistlichen und weltlichen Gericht statt und war wohl eher ein Schauprozess, da das Urteil schon vorher feststand. Anders lässt sich nicht erklären, warum der aufwändig zu bauende Scheiterhaufen schon stand. Seine Verhandlung umfasste 21 Anklagepunkte. Das Urteil wurde auf lateinisch verkündigt, nachdem Hüglin verboten worden war, Deutsch zu sprechen. So konnten die Bürger seine vortrefflichen Verteidigungsworte nicht mehr verstehen. Danach wandte sich Vikar Speiser an die weltlichen Richter, damit diese nach kaiserlichem Recht urteilen sollen.

Doch bevor der weltliche Richterspruch kam, wurde ihm von den geistlichen Würdenträgern die Priesterwürde aberkannt. Hierzu musste er seine priesterlichen Kleider anlegen, um sie ihm gleich wieder unter einer Verfluchung auszuziehen. Danach wurde ihm der Kopf geschoren und die Kuppen seiner Finger mit einem Messer abgeschabt. Anschließend wurde er dann auch von den weltlichen Richtern zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zum Scheiterhaufen, den er ohne zu zögern bestieg, dankte er seinen Wohltätern und betete für seine Richter, danach sprach er auf seinem letzten Weg Gebete wie: „Gloria in excelsis Deo“, „Te Deum laudamus“ und „Magnificat“ (Ehre sei Gott in der Höhe, Großer Gott wir loben dich, Lobgesang Marias: Meine Seele preiset den Herrn).

Johannes Hüglin, ein Mann, der nur eine stille Sympathie für die Reformation hatte, diese auch theologisch sehr gut begründen konnte, war vermutlich während der Bauernkriege nur ein Vermittler zwischen den Parteien und spielte keine aufwiegelnde Rolle. Sein Schicksal auf dem Scheiterhaufen kann kaum anders als tragisch bezeichnet werden. Die geistliche Obrigkeit hat, gedemütigt durch den Verlust des Bischofssitzes in Konstanz, an einem allenfalls mäßig sympathisierenden Lutheraner ein Exempel statuiert. Der Ketzereiprozess gegen den Frühmesser Johannes Hüglin gehört aus heutiger Sicht in die Skandalchronik der deutschen Justizgeschichte.


Namen von Persönlichkeiten überdauern die Zeit

Johannes Hüglin gehört zu den Personen, die immer wieder dafür benutzt werden, wenn sich andere dessen Namen für ihre eigenen Zwecke bedienen. Im Dritten Reich wurde er z. B. als Held der Bauern gefeiert, obwohl er als Frühmesser dem Adel und der Kirche verpflichtet war, sich diesen aber widersetzte und dafür als Ketzer und Märtyrer den Tod auf dem Scheiterhaufen fand. Hierfür wurde ihm 1935 im alten Rathaus in Ludwigshafen ein Wandgemälde gewidmet (siehe links unten). Die evangelische Kirche hingegen sieht ihn als einen Mitstreiter der lutherischen Reformation der Kirche. Daher bekam auch der Gemeindesaal der evangelischen Kirchengemeinde in Ludwigshafen seinen Namen. Auch eine Straße ist in der Gemeinde nach ihm benannt.

Straßennennungen mit Namen können zu Problemen führen, die man bei der Benennung der Straße vielleicht nicht bedacht hat oder noch nicht wusste. Ein gutes Beispiel gab es vor einigen Jahren bezüglich der „Wilhelm Schäfer Straße“ am westlichen Ortsende. Der Dichter Wilhelm Schäfer ist Ehrenbürger der Gemeinde Bodman-Ludwigshafen, infolgedessen wurde auch die Straße neben seinem ehemaligen Wohnhaus nach ihm benannt. Aus der Bevölkerung kam die Frage, warum jemand, der nachweislich dem NS Regime nahestand, das Recht auf einen Straßennamen bekommt.
In Bodman-Ludwigshafen gibt es fünf Straßen, die nach Persönlichkeiten im Zusammenhang mit dem Ort einen Platz auf einem Straßenschild bekommen haben. Diese sind: Paul Weber, Obstbaupionier, Politiker, Prähistoriker und Kunstsammler aus Bodman; St. Otmar, der Patron der Katholischen Kirche in Ludwigshafen; Turnvater Jahn, der seinen Jahnweg in der Nähe der Turnhalle in Ludwigshafen bekommen hat; der Dichter Wilhelm Schäfer und der Frühmesser (Priester) Johannes Hüglin.  

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