„Da sind sie schon wieder!“ – Fasnet 1956

Fastnacht hat viele Wurzeln und verfolgt verschiedene Zwecke, wie es im vorausgegangenen Beitrag „Die fünfte Jahreszeit – Ludwigshäfler Narrenblatt von 1950!“ vom 24. Januar zum Ausdruck kommt. Dazu zählen der Rollentausch, das Verspotten der Mächtigen und Vorgesetzten sowie die Verbreitung von Angst und Schrecken z.B. in Gestalt furchterregender Hexen, Teufel, Tierwesen und Naturgeister; Zombies und Untote erweitern heute dieses Spektrum.

Als die Fastnacht im Siedlungsgebiet der SeeEnd-Alemannen ab 1950 wieder Fahrt aufnahm – sie war kriegs- und nachkriegsbedingt viele Jahre ausgefallen bzw. während der französischen Besatzung einige Zeit sogar verboten gewesen – nutzten drei Häfler sie zu einer „makabren“ Vergangenheitsbewältigung.

Das Kriegsende lag inzwischen etwas mehr als 10 Jahre zurück und die Erinnerungen an die Gräuel des Zweiten Weltkrieges waren bei einigen vielleicht schon etwas verblasst, bei anderen immer noch unverarbeitet. Mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge im Mai 1955 endete die Besatzungszeit in der Bundesrepublik Deutschland und das Land machte sich auf den Weg, wieder ein souveräner Staat zu werden.

Diese nach Kriegsende wahrscheinlich erste Gelegenheit freier Entfaltung närrischen Treibens packten drei Ludwigshäfler an Fastnacht 1956 beim Schopf, um die Schrecken der Vergangenheit noch einmal heraufzubeschwören und sie damit scherzhaft zu verarbeiten, ja vielleicht sogar im dörflichen Ambiente „endgültig“ zu überwinden.

Beim Narrentreiben ließen die Drei die schlimmsten Figuren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft noch einmal aufleben: Reichskanzler und Volksverführer Adolf Hitler, Reichspropagandaleiter und Chef-Demagoge Joseph Goebbels, Reichsmarschall und Morphium-Junkie Hermann Göring. In einer Staatskarosse mit der Aufschrift „Da sind sie schon wieder!“ ließen sie sich durch den Ort kutschieren, mischten sich bisweilen unters Volk und kehrten mit absoluter Gewissheit in allen Wirtschaften ein, die auf ihrem Weg lagen.

Verkörpert wurden Sie von W. Demnitz (Adolf Hitler), J. „Beff“ Lindenmayer (Joseph Goebbels) und K. Mezger (Hermann Göring). Der extrem eingedrehte rechte Klumpfuß „Goebbels“ sowie das Fragezeichen auf der Armbinde unterstreichen die satirische Absicht des Spektakels.


Zum Vergleich:


Wenn 1956 die drei Fastnachter gehofft hatten, ihre Mitmenschen zu erschrecken mit der Erinnerung an das, was seinerzeit noch nicht allzu lange zurücklag, dann würde es ihnen heute gelingen, mit der Warnung vor dem, was schon bald wieder kommen könnte: Eine Renaissance rechtsradikaler Ideen. Der Hinweis „Halt! Da sind sie schon wieder!“ ist daher heute mehr denn je von besonderer politischer Brisanz. Denn was damals unmöglich war, könnte heute in Gestalt anderer Personen wieder traurige Wirklichkeit werden.

Zur Zeit des NS-Regimes hätten die Drei mit dieser Präsentation ganz sicher Kopf und Kragen riskiert. Die französischen Besatzer hätten die Idee wohl auch nicht witzig gefunden und ungeahndet lassen. Und heute müsste sie für eine solche Aktion gute Argumente bereithalten, um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft zu verharmlosen und deren Opfer zu verhöhnen.

Kein anderes frühes Fastnachtsereignis ist der Kriegs- und Nachkriegsgeneration so nachhaltig in Erinnerung geblieben wie dieses. Noch heute, fast 70 Jahre danach, ist die Rede davon. Kaum eine Bilderserie von Fastnacht hat so große Verbreitung gefunden wie diese. Fotos davon finden sich noch in vielen Haushalten eingesessener Ludwigshäfler Familien.

Eine komödiantische Darstellung von Adolf Hitler oder anderen Nazi-Größen wird am ehesten toleriert, wenn sie von Kabarettisten oder berühmten Komikern inszeniert wird. Charlie Chaplin tat dies bereits 1940 im Film „Der große Diktator“ aus sicherer Entfernung. Auch Harald Schmidt parodierte Hitler kurz in seiner Show vom 17.02.2005. Helge Schneider hat es 2007 in der Filmkomödie „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ gewagt. Und David Wnendt versuchte es 2015 mit der Verfilmung des Bestsellers „Er ist wieder da.“ von Timur Vernes.

Satire will Despoten durch Spott demontieren, auf Missstände aufmerksam machen und Gefahren aufzeigen; sie muss keine Lösungen anbieten. Die Verhältnisse zu ändern, liegt in der Verantwortung jedes einzelnen. Dazu sind wir heute mehr denn je aufgerufen wie die aktuellen Massenproteste gegen „Hass und Hetze“ zeigen.

Wenn es jemandem zusteht, sich über sein Schicksal lustig zu machen, um es zu ertragen oder zu überwinden, dann nur den Betroffenen selbst. Deshalb maßen wir es uns vom Redaktionsteam auch nicht an, diese Fastnachtsidee aus heutiger Sicht und als Außenstehende zu bewerten. Als historisches Ereignis, das im kollektiven Gedächtnis verankert ist, hat sie aber auf jeden Fall einen Platz in der Sammlung der SeeEnd-Geschichten verdient.

Scherze sind bekanntlich umso derber, je dramatischer das Geschehen ist, auf das sie sich beziehen. Man nennt das nicht von ungefähr Galgenhumor. Psychoanalytische Theorien sehen im Humor einen Mechanismus der Spannungsabfuhr zur Bewältigung negativer Situationen und schmerzlicher Emotionen. Der Humor ist für Sigmund Freud der sozialste und höchststehende aller Abwehrmechanismen. Das Lachen ist eine Möglichkeit zur Abfuhr seelischer Erregung, auch wenn es einem manchmal im Hals stecken bleibt.

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