Bierkeller oder Erdstall – Die geheimnisvolle Höhle an der Schnabelburg

An der Schnabelburg machen zwei Löcher im Fels auf sich aufmerksam. Das eine, rund und fast verschüttet, wirkt wie ein Höhleneingang oder ein „Schlupf“. Das andere, schmal und hoch, präsentiert sich wie ein Zugang zu einem Stollen. Seinen Einlass flankiert wie ein mystisches Mirakel die mächtige Wurzel einer Kiefer.

Hier vernimmt man nicht selten Ausrufe des Erstaunens. „Schau, Papa, eine Höhle!“ Und wenig später versuchen Vater und Kind mit dem Licht ihres Handys das schwarze Loch zu erkunden, während die Mutter vorsorglich am Eingang wartet und das Unternehmen sichert. Die Abenteuerlust der Wagemutigen findet jedoch schon nach ein paar Metern ein rasches Ende, wenn sie feststellen, dass die Handylampe die zunehmende Dunkelheit nicht zu erhellen vermag und sich der Gang nach ein paar Metern plötzlich mit Wasser füllt. Da nicht abzuschätzen ist, wie tief und wie lang der Wassergraben sein würde, gelangen die frisch gebackenen Höhlenforscher rasch zu der Erkenntnis: Für normales Schuhwerk und ohne weitere Hilfsmittel ist hier Endstation. Und das ist auch gut so. Denn ein paar klaffende Risse im Gestein der Höhlendecke lassen Unheilbringendes ahnen, auch wenn es bisher noch zu keinem Unglück gekommen ist.

Und so bleiben für sie die Fragen unbeantwortet: Wohin führt dieser Gang? Was verbirgt sich in dieser Höhle? Wer hat sie gebaut, wann und zu welchem Zweck? Wie sieht es da drinnen aus?

Im Bauch des Berges

Um die Neugier selbstberufener Speläologen (Höhlenforscher) zu befriedigen und sie möglichst von allzu riskanten Wagnissen abzuhalten, haben Mitglieder des SeeEnd-Geschichten-Teams mit angemessener Ausrüstung und hinreichenden Sicherheitsvorkehrungen das Innere des Berges beleuchtet und fotografiert.

Sie konnten neben einer großen Halle zwei weitere Kammern und drei verschüttete Gänge lokalisieren, von denen einer am andern Ende des Kellers ins Freie führt. Ob dies tatsächlich immer schon ein zweiter Zugang war, oder ob er erst durch einen Felsrutsch entstanden ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Bruchstelle scheint jedenfalls ziemlich jung zu sein, auch wenn sie schon seit mindestens 60 Jahren existiert.

Bei einem anderen Gang wurden beidseitig Torscharniere und ein Haken in den Fels getrieben, so dass anzunehmen ist, das sich dahinter ein weiterer Raum befand, der durch ein großes Tor getrennt war. Der relativ niedrige Ansatz der Deckenwölbung legt den Schluss nahe, dass sich der Boden des Kellers über die Jahre durch abbröckelndes Gestein und eingeschwemmte Ablagerungen angehoben hat.

Ein besonderes Element des Höhlensystems ist ein hoher, vertikaler Schacht von ca. 4,5 m Höhe, der an seinem oberen Ende, wo er irgendwo unter dem Waldboden endet, mit einer Kuppel aus Backsteinen verschlossen ist. Welchem Zweck könnte er gedient haben? War es vielleicht ein Bauhilfsschacht? Wurde er aus Gründen der Kältetechnik angelegt, um aufsteigender wärmerer Luft Raum zu bieten und den Keller kühl zu halten? Ist es gar ein Hinweis darauf, dass über dem Keller einmal Gebäude gestanden haben könnten, auf die der Flurname „Schnabelburg“ Bezug nimmt?

Einige der Gänge werden, bei genauer Betrachtung, heute noch von plötzlich auftauchenden, schattenhaften Burggespenstern bewacht.

Auf jeden Fall ein Bierkeller

Die Alteingesessenen kennen den Ort unter dem Namen „Bierkeller“, was ein eindeutiger Hinweis auf seine Funktion ist. Einige von ihnen haben als Kinder und Jugendliche mit Kerzen und Fackeln sein Inneres erkundet. Auch in jüngster Zeit haben Tollkühne oder Obdachlose die Höhle besucht, wovon der zurückgelassene Müll, eine Feuerstelle, einige Kritzeleien und eine Ritualnische in der Sandsteinwand zeugen.

Aber niemand, der heute noch unter uns weilt, hat die eigentliche Nutzung des Kellers wohl selbst miterlebt. Einige Alte erinnern sich, dass sie während des 2. Weltkrieges bei Bombenangriffen und beim Einmarsch der französischen Truppen dort kurzzeitig Schutz gesucht haben.

Ganz sicher stand, wie der Name sagt, der Naturkeller im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Zusammenhang mit dem Brauwesen. Darauf weist ein rustikales Brauwappen am Ende des Stollens hin, auf dem eine Ähre und zwei Embleme der Zunft zu sehen sind: Schöpfer (Schöpfstaffel) zum Umleeren des Gebräus (links neben der Ähre) und Maischscheit zum Umrühren der Maische (rechts neben der Ähre). Eingravierte Jahreszahlen liefern Zeitangaben: 1840 und 1915.

Das Hexagramm stellte, vorwiegend im süddeutschen Raum, das Zunft- und überregionale Erkennungszeichen der Bierbrauer dar und hat nichts mit dem David-Stern gemeinsam.

Er setzt sich aus zwei ineinander verwobenen Dreiecken zusammen. Das Hexagramm galt als Symbol für die Alchemie als Ganzes. Die Mälzer und Bierbrauer des Mittelalters sahen in dem Sechseck außerdem die Hauptelemente der Bierherstellung. Die Erde steht für das Getreide, das sie hervorbringt. Die „Luft“ im Bier nimmt Bezug auf das Kohlendioxid, das bei der Gärung dank der Hefe freigesetzt wird.

Der Brauerstern wurde immer dann aufgehängt, wenn es frisch gebrautes Bier gab. Seine Verwendung war mit dem Recht des Bierbrauens verbunden. Es war ein Schankzeichen und Wegweiser damit Brauer und Zecher zusammenfanden.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass es in der Seeend-Gemeinde einst eine eigene Brautradition gegeben haben könnte, liefert der Name der ehemaligen Gastwirtschaft „Bräuhaus“ im Ortskern von Ludwigshafen.

Die untergärige Hefe zum Brauen von untergärigen Bieren, wie sie traditionell in Regionen mit strengen Wintern wie Bayern oder Baden-Württemberg gebraut wurden, benötigt für die Umwandlung von Zucker zu Alkohol eine etwas unterkühlte Arbeitstemperatur von 4 bis 9° Celsius. Zu den untergärigen Biersorten zählen u.a. Lager, Export, Pilsener, Märzen und Kellerbier. Daher war die Herstellung dieser Biere nur in den Wintermonaten möglich, die im Süden Deutschlands kälter und länger sind bzw. waren, als z.B. im Rheinland. Dort waren die Winter schon immer viel milder, weshalb sich vor allem obergärige Biere, wie Weißbier, Alt und Kölsch, durchsetzten. Denn obergärige Hefe erfüllt ihre Aufgabe optimal bei einer Temperatur zwischen 15 und 20 Grad.

Um das in den letzten Wintermonaten gebraute Bier unbeschadet über die warmen Sommermonate bringen zu können bzw. um die Brausaison zu verlängern, benötigten die Brauereien geeignete, kühle Lagerstätten mit hinreichendem Fassungsvermögen. So begann man vor allem in Süddeutschland schon im 16. Jahrhundert mit der Auslagerung des für den Verbrauch in den warmen Sommermonaten bestimmten „Sommerbieres” in Stollen, Höhlen oder tiefen Felsenkellern.

Anfang des 19. Jahrhunderts fing man an, diese Lagerstätten zusätzlich mit Natureis zu kühlen. Zur Winterzeit, wenn der Uferbereich des Bodensees gefroren war, sägte man aus der Eisdecke schwere Blöcke, die mit Pferdefuhrwerken in den Bierkeller geschafft wurden, den sie bis weit in den Sommer hinein gleichmäßig kühl hielten.

„Mit Eis stopf‘ deine Keller voll, wenn dir das Bier gelingen soll!“ So mahnt der Bayerische Brauer- und Mälzerkalender im Januar 1880. Und schiebt im Februar gleich den nächsten Denkzettel nach: „Wenn auch der Taumond bringt noch Eis, so fülle nach mit größtem Fleiß!“

Mit der Erfindung der Kältemaschine durch Carl von Linde um das Jahr 1876, die eine ganzjährige Herstellung von untergärigen Bieren ermöglichte, wurden die Bierkeller allmählich überflüssig und aufgegeben.

Vielleicht gar ein Erdstall

Bei diesem Bierkeller könnte es sich aber möglicherweise auch um einen erweiterten und neu genutzten Erdstall handeln. Einige der vorgefundenen Elemente ähneln jenen, die in der Forschung für Erdställe aufgeführt werden.

Auf der Internetseite der Interessengemeinschaft Erdstallforschung (IGEF) lesen wir dazu:

„Ein Erdstall ist eine künstlich angelegte Höhle. Die Erdställe bestehen aus niedrigen Gängen und Kammern, die (…) im Untergrund angelegt worden sind. Relativ kurze Gangabschnitte sind durch Verengungen (sogenannte Schlupfe) miteinander verbunden und führen in kleine Kammern.

Gänge und Kammern zeigen seitlich angebrachte Nischen in verschiedenen Größen. Betreten werden die Erdställe über enge, meist horizontal angelegte „Schächte“ (…). Der Eingang ist immer auch der Ausgang. Die unterirdischen Bauwerke wurden in allen übrigen Teilen ohne Stützen und Ausmauerung in Tiefen zwischen 3 und 8 m gegraben. Warum oder wofür diese eigentümlichen Höhlen erbaut worden sind ist bis heute ein Rätsel. Die Bezeichnung Erdstall lässt sich auf das Wort Erdstollen (unterirdischer Gang) zurückführen, bzw. bezeichnet eine Stelle unter der Erde. Nach den neuesten Erkenntnissen wurden die Erdställe in Europa im Hochmittelalter angelegt. (…) Die Art und Weise wie sie gegraben wurden deutet auf fachlich versierte Baumeister und ist vergleichbar mit dem historischen Bergbau.“

„Das Fehlen handfester Belege für eine erklärbare Verwendung der Erdställe und eine Vielzahl von Sagen und volkstümlichen Bezeichnungen führen zu phantasiereichen Hypothesen. (…) Die Erdställe werden in historischen Schriften nicht erwähnt. Dafür ranken sich um die unterirdischen Gänge zahlreiche Sagen. Manche Sagen erzählen von unglaublich langen, unterirdischen Gängen die Klöster, Burgen oder Schlösser untereinander verbinden. Nicht selten befindet sich an einem der Orte tatsächlich ein Erdstall. Aus den verschiedenen Verbreitungsgebieten der Erdställe sind unterschiedliche Bezeichnungen überliefert wie Schratzelloch, Alraunhöhle, Erdleutlschluf, Rätslelloch, Graslgang uvm.“

Erdställe kommen, wenn auch lückenhaft, europaweit vor. Besonders viele Erdställe sind in Bayern, Österreich und Tschechien belegt. Auf einer Karte von Karl Schwarzfischer aus dem Jahre 1968 finden sich jedoch auch ein paar Punkte im Nordwesten des Bodensees.

Der Bierkeller von Ludwigshafen hätte es im Hinblick auf sein außergewöhnliches Format und seine historische Bedeutung verdient, dass ihm größere Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Die Frage, ob er sich als touristische Attraktion eignet, muss wegen der sicher sehr hohen Sicherheitsauflagen, die an eine Begehung gestellt würden, wohl eher verneint werden.

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