Goldene Zeiten am SeeEnde – Die Seidenstraße von Sernatingen.

Der Begriff „Seidenstraße“ oder die Straße der Seide ist fest mit der alten Handelsroute verknüpft, die die westliche Welt mit dem Nahen Osten und Asien verband. Sie war ein wichtiger Handelsweg zwischen dem Römischen Reich und China und später zwischen mittelalterlichen europäischen Königreichen und Asien. Über eine Wegstrecke von 6.400 km brachten Händler in der Antike und im Mittelalter unterschiedliche Güter von China nach Rom und Venedig. Die Waren wurden meist auf dem Rücken von Kamelen transportiert und umfassten Gewürze, Tee, Seide, Gold und andere Luxusgüter. Der Begriff der Seidenstraße geht auf den deutschen Geografen zurück, der diese Bezeichnung erstmals 1877 verwendete.
Genau in diesen genannten Zeitraum fällt auch die wirtschaftliche Blütezeit der Gemeinde Sernatingen.

Nach dem 30-jährigen Krieg herrschte auch am SeeEnde Verzweiflung, Not und Armut.
Im 18. Jahrhundert waren die Dörfer in der Südwestecke Deutschlands Spielbälle, die sich Kaiser, Könige und Markgrafen gegenseitig zuwarfen. Heute österreichisch, morgen württembergisch und übermorgen dann wieder badisch. Auch die SeeEnd-Bewohner hatten Gelegenheit, viele unterschiedliche Landesherren auszuprobieren.

Der auschlaggebende Anlass für eine wirtschaftliche Trendwende war der Hafenbau in Sernatingen und ist untrennbar mit dem Namen des 1810 nach Sernatingen berufenen Lehrers Carl Zyriak Hamma verbunden.  In Sernatingen versieht der noch junge Lehrer ab 1810 den Schuldienst in der Gemeinde. Seine unstillbare Idee war es, aus Sernatingen einen höchst bedeutenden Güterumschlagplatz am nördlichen Ufer des badischen Teils des Bodensees entstehen zu lassen. Beim Seekreis-Direktorium Konstanz und im fernen Karlsruhe findet der Vorschlag großen Beifall und Unterstützung und man stellt im Jahre 1816 dem Lehrer Hamma spontan ein Zollprivileg in Aussicht. Im Jahre 1818 erhält er von Großherzog Carl für 3 Jahre das Alleinrecht zur Ausübung der Spedition in Sernatingen.

Geschäftiges Treiben am „Ludwigs-Hafen“. Unterschiedliche Waren kommen und gehen über den Seeweg.

Etwa um 1820 begann der wirtschaftliche Aufschwung der Gemeinde, gefördert durch den äußerst lebhaften Transithandel, der sich über den See von und nach Bayern, Italien, Österreich, Tirol und der Ostschweiz entwickelte.
In diesen Jahren entfaltete sich in der SeeEnd-Gemeinde, dessen Streben bisher der Landwirtschaft und dem Rebanbau gewidmet war, ein lebhafter Speditionsverkehr mit Salz, Früchten, Holz, Baumwolle, Kaffee, Reis, Drogen und Farben. Mit Segelschiffen kamen und gingen die Waren am neuen „Ludwigs-Hafen“ und mit Fuhrwerken ging es per Achse weiter, gelenkt durch die Straßen des Großherzogtums. Man vermerkte: „Die Güter nach Karlsruhe und Frankfurt reisten nur drei Tage“. Die Einnahmen aus dieser Speditionstätigkeit brachten der Gemeinde und ihren Bürgern „goldene Zeiten“, denn die Geschäfte sind von glückhaftem Erfolg. Gefördert wurde diese Entwicklung mit dem Beginn der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee, die windunabhängige Transportzeiten erlaubte.

Das Geschäft über die „Seidenstraße“ vom SeeEnde nach Westdeutschland und den Niederlanden gedieh prächtig. Zeitweise passierten 30 – 40, bis zu sechsspännige Fuhrwerke, täglich die Sernatinger Straße, durchquerten das Zollhaus zum Be- und Entladen der Waren und fuhren über den damals eigenen Bahnübergang in der Schifferstraße wieder nach Norden in Richtung Stockach. Die Schläge der Pferdehufe auf dem Pflaster der Zugangsstraßen muss ohrenbetäubend gewesen sein. Die örtlichen Kaufleute, Handwerks- und Übernachtungsbetriebe profitierten gleichermaßen von der heimischen „Seidenstraße“, denn Pferde und Kutscher mussten versorgt werden. Auch Ersatzteile und Reparaturen von Zaumzeug und Wagen, sowie neue Hufeisen waren an der Tagesordnung.

Die günstigen Zoll- und Straßenbenutzungsgebühren zeigten das Bestreben der Badischen Regierung, hier am SeeEnde einen florierenden badischen Handelsplatz entstehen zu lassen, der das württembergische Friedrichshafen überflügeln sollte. Und in der Tat hatte unsere Gemeinde eine Zeitlang das zweithöchste Warenumschlagsvolumen am Bodensee.

Die Bodensee-Schifffahrt, der Speditions- und Handelsplatz am SeeEnde brachten Arbeitsplätze, mehrten den Wohlstand und die Zahl der Sernatinger wuchs.

Als aber im Jahre 1895 die Bodensee-Gürtelbahn erbaut wurde, erlahmte der Güterverkehr auf dem See und die Eisenbahn verdrängte die Fuhrwerke von den Straßen. Unser Ort fiel in wenigen Jahren in seine dörfliche Einsamkeit zurück. Mit der Schifffahrt und Spedition war es vorbei. Landwirtschaft, Obstbau und Handwerk wurden wieder zur Nahrungsquelle der Bewohner, bis mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs der Ort zur neuer Bekanntheit und Blüte erwachte.

Speditionsplatz mit beiden Bahnübergängen Sernatingen Straße und Schifferstraße

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