Bohème am Seeende

Der dänische Dichter Martin Andersen Nexö, der von 1923 bis 1930 am Bodensee lebte, zunächst in Unteruhldingen und danach in Allensbach, behauptete, das Bodenseeklima beraube wegen seines feucht-milden Klimas die Menschen ihrer Energie. Einen seiner Romanhelden ließ er sagen: „Nehmen Sie sich vor der Bodenseefaulheit in acht und machen Sie sich rechtzeitig davon.“ Denn sowohl das Klima als auch seine Bewohner forderten dazu auf, fünf gerade sein zu lassen. Die einzige Form von Energie, die hier gedeihe, sei die erotische.

(Anmerk.d.R.: Das Seeende steht heute, wie die gesamte Bodenseeregion weniger für Muse und Müsiggang, als für Eifer und Betriebsamkeit. Ob das mit der Zuwanderung von Menschen zu tun hat, deren Maxime „schaffë, schaffë, Häusle bauë“ lautet, ist bisher nicht untersucht worden.)

Die Dichter und Schriftsteller, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am Seeende auf der Sommerhalde und dem Kronbühl niederließen, hätten dieser Empfindung und Warnung ihres „Kollegen“ gewiss widersprochen, wäre sie nicht erst Jahre später geäußert worden. Heinrich Lhotzky siedelte sich bereits 1910 im Ortsteil „Kleinbodman“ an, verlegte dort seine zahlreichen Bücher und hinterließ eine ansehnliche Villa, die heute den Kern der Evangelische Jugendbegegnungsstätte bildet. Etwas später, anno 1918, folgte in unmittelbarer Nachbarschaft Wilhelm Schäfer, an den ein Straßennamen und ein Eintrag im Buch der Ehrenbürger erinnert. Von beiden wird in späteren Beiträgen noch die Rede sein.

Dieser Beitrag ist zwei Persönlichkeiten gewidmet, die es nicht zu Geld und Ruhm gebracht haben und in unserer Gemeinde nur noch wenigen bekannt sind: Wolfgang Martin Schede und Clara Weller.


Wolfgang Martin Schede


W.M. Schede war ein Multitalent, der mit vielen künstlerischen Genres experimentierte, ohne dass daraus ein gesichertes Einkommen entstanden wäre. Er schrieb einmal: „Wenn andere zu Mittag aßen, knabberten wir an einem Stück Brot, um dem schlimmsten Hunger zu begegnen.“
Schede war Tänzer, Choreograf, Zeichner, Schriftsteller und Fotograf. 1898 in Stuttgart geboren, verbrachte er seine Jugend- und Studienjahre in Bonn, Straßburg und schließlich wieder in Bonn und Köln. Er arbeitete u.a in Frankfurt, München und Berlin.

Nach dem Krieg verlagerte sich sein beruflicher Schwerpunkt aufs Schreiben und Übersetzen. Eigene Lyrik, Dramen, Romane, Novellen, Essays, Sach- und Bildbände, Fernsehspiele, Puppen- und Märchenspiele, Hörspiele und Schulfunksendungen für den Südwestfunk, Radio Bremen, Radio Zürich, Radio Bern, Radio Salzburg, RAI Italia, Norddeutscher Rundfunk.

Aufsehen erregte im Bühnenbereich sein Werk „Die Liebe und der Tod„, das 1946 unter dem Titel Goyescas in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde.


Nach langen Jahren des Umherwanderns fand Schede nach dem Krieg am Bodensee seine Heimat, anfangs in Hödingen und Süßenmühle und schließlich in Bodman-Ludwigshafen. Er erwarb auf dem Kronbühl, oberhalb von „Wilhelm Schäfers Sommerhalde“ ein Stück Land, auf dem sich ein altes Winzerhäuschen befand. Dieses baute er für sich und seine dritte Frau zu einer bescheidenen Wohnung aus, die er „Pappelklause“ nannten. Nachbarn, die das Ehepaar dort besuchten, erzählten, man hätte durch die Astlöcher des Holzes ins Freie sehen können. Heute sucht man den Ort vergebens. Das bescheidene Häuschen ist längst einem stattlichen Gebäude gewichen.
Am 4. Januar 1975 setzte Schede, fast erblindet, seinem bewegten und häufig entbehrungsreichen Leben in seiner „Pappelklause“ ein Ende, ein Vierteljahr nach dem Tode seiner Frau.

Die Vielseitigkeit seiner Begabungen und Tätigkeiten mag der Grund dafür sein, dass ihm in keiner von diesen nachhaltiger und wohlverdienter Ruhm zuteil geworden ist.


Clara Weller

Neben den großen gab es auch weniger große Talente wie Clara Weller. Von ihr ist nur sehr wenig bekannt. Sie bewohnte ein kleines, einfaches Häuschen am Fuße des Kronbühls, von dem nur noch einige überwucherte Mauerreste des Fundaments erhalten sind. Eine Postkarte aus der Sammlung von Gerda Winterhalter, geb. Sulger, bringt zum Ausdruck, dass auch sie sich als Schriftstellerin gefühlt und es mit dem Schreiben von Theaterstücken versucht hat.


„Mich Ruhende soll hier umfächeln nur Waldesduft vom Bodensee.“ So lautet der Text unterhalb des Bildes.

Es braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass eine derart exzentrische Persönlichkeit von den bodenständigen und bescheidenen Menschen, die die Bürger von Bodman-Ludwisghafen damals waren, nicht viel Wertschätzung zu erwarten hatte. Ein Brautführer, dem sie überraschenderweise als Brautjungfer zugeteilt worden war, soll seinem Missfallen auf ziemlich derbe Weise Ausdruck verliehen und gesagt haben: „Wenn se nu grad ve …. wur!!!

Ein in der Münchner Stadtbibliothek archivierter Brief aus dem Jahre 1911 von Clara Weller an Albert Langen, dem Gründer der sartirischen Zeitschrift „Simplizissimus“, dessen Inhalt uns nicht bekannt ist, läßt vermuten, dass sie auf der Suche nach einem namhaften Verleger war. Albert Langer war jedoch schon zwei Jahre zuvor gestorben. Wer sich hinter dem Klein-Roland-Verlag verbirgt, der auf der Postkarte erwähnt ist, wovon das Lustspiel „Der Schrei nach dem Mann“ handelte, ob es jemals aufgeführt wurde, wie hoch die Auflage und der Absatz waren und ob Clara Weller weitere Werke verfasst hat, weiß heute niemand mehr.

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