Wer sich an jenes mysteriöse Objekt noch erinnert und beim Baden gar auf ihm herumgeturnt ist, der/die wird heute wohl um die 50 Jahre alt sein. Es „ankerte“ über zwei Jahrzehnte in Ufernähe am östlichen Dorfende von Bodman vor dem alten Campingplatz Scherer und wurde das „U-Boot von Bodman“ genannt. Nur eine Postkarte, ein privates Foto und ein Vermerk in der Chronik der Bodmaner Feuerwehr belegen seine einstige Existenz. Über seine Herkunft, seinen Zweck und seinen Besitzer gibt es mehr Mutmaßungen und Spekulationen als gesicherte Fakten.
Einige Erklärungen dazu finden sich in zwei kurzen Berichten des Südkuriers aus dem Jahre 2001, die sich mit den Nachforschungen des Überlinger Unternehmers, Dr. Wolfram Winkler (†2021), befassen. Das auffällige Konstrukt hatte den Hobby-Forscher einst bei einer Schiffsfahrt so in seinen Bann gezogen, dass er sich Jahre danach zum Ziel setzte, dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Vielleicht hatte er erwartet, bei der Wasserschutzpolizei in Überlingen rasche Aufklärung zu erhalten. Aber er stieß bei seinen Ermittlungen dort wie anderswo nur auf Achselzucken und fragende Gesichter. Schließlich spürte er in Bodman zwei Zeitzeugen auf, Meinrad und Jürgen Müller, deren Erinnerungen etwas Licht ins Dunkel der Geschichte brachten. Allerdings wurden auch durch sie nicht alle Ungereimtheiten und offenen Fragen zweifelsfrei und abschließend geklärt. Auch in den Ausführungen der Zeitungsberichte finden sich Widersprüche und fehlerhafte Zeitangaben.
- „Die seltsame Geschichte vom ‚U-Boot am Bodensee'“, Südkurier, 18.09.2001
- „U-Boot-Geschichten“, Südkurier, 06.10.2001
Nautilus des Bodensees?
Verweist die Bezeichnung „U-Boot“ denn tatsächlich auf die Funktion dieses eigenartigen Wasserfahrzeugs? Oder beruht sie allein auf einer Assoziation mit dem fiktiven Unterseeboot „Nautilus“ aus den Romanen „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ und „Die geheimnisvolle Insel“ von Jules Verne? Der kaminartige Aufbau, der dem Artefakt den charakteristischen Touch eines U-Bootes verlieh, ist offenbar erst durch einen späteren Besitzer angebracht worden und erfüllte keinen anderen Zweck, als die Attraktivität des Objekts zu erhöhen. Um in die Tiefen des Sees zu tauchen, hätte es im Innern des Schiffs besonderer Kammern und eines Mechanismus zur Flutung des Bootes bedurft, die nicht vorhanden waren. Dies, wie auch das Fehlen von Bullaugen zur Beobachtung der Unterwasserwelt, läßt nur den Schluss zu:
Nein, als U-Boot konnte die Konstruktion nicht gedient haben.
Umgebautes Drachenboot zur Weltumsegelung?
Eines der zahlreichen Gerüchte besagte, das Boot sei für eine Weltumsegelung gebaut oder umgebaut worden war. In der Tat ähnelt es in Größe und Form einem ummantelten Segelboot der Bootsklasse „Drachen“. Jedoch sind auf den Fotos weder eine Halterung für den Mast noch eine Ruderanlage zu sehen. Wie das Fahrzeug zu manövrieren gewesen wäre, ist in dieser Bauphase nicht ersichtlich.
Wäre der Ausgangspunkt dieser Weltumsegelung tatsächlich Bodman gewesen, hätte sich der Abenteurer schon bald der Schwierigkeit gegenüber gesehen, den Rheinfall bei Schaffhausen überwinden zu müssen. Dies bot Stoff für eine weitere Hypothese.
Bezwinger des Rheinfalls?
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war es „modern“, sich mit einem Fass durch die Stromschnellen der Niagarafälle treiben zu lassen. Der erste Mensch, der die Befahrung der Niagarafälle bei den gefährlichen „Horseshoe Falls“ in einem Fass gewagt und überlebt hat, war Annie Edson Taylor, eine US-amerikanische Lehrerin. Sie stürzte sich am 24. Oktober 1901, ihrem 63. Geburtstag, 53 Meter in die Tiefe und stieg 15 Minuten später aus eigener Kraft mit einer leichten Kopfverletzung wieder aus dem Fass. Im Juli 1911 machte ihr ein 52-jähriger Draufgänger, der Engländer Bobby Leach, das Kunststück nach. Er überlebte die Befahrung der Horseshoe Falls in einem Metallfass mit schweren Verletzungen.
Diese Berichte, die es bis in die 1960er Jahre gab, mögen Anlass gegeben haben, das spindelförmige Wasserfahrzeug in einen ähnlichen Zusammenhang zu bringen. So kursierten Vermutungen, dass der Eigner des Bootes eine Durchfahrung des Rheinfalls im Sinne hatte.
Arche, Sekte, Sintflut?
Ebenso machte das Gerücht die Runde, dass der Schiffseigner einer Sekte angehörte und beabsichtigte, eine Arche zu bauen, um einen bevorstehenden Weltuntergang zu überleben. Diese Annahme mag ihren Ursprung in der Tatsache gehabt haben, dass der Ortsfremde als wenig kontaktfreudig und eigentümlich wahrgenommen wurde und aus Dornach in der Schweiz gestammt haben soll.
In Dornach befindet sich ein wichtiges Kulturzentrum der Anthroposophischen Gesellschaft, die von Rudolph Steiner Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet wurde, und die von vielen Bürgern der Mehrheitsgesellschaft damals wie heute als Sekte empfunden wird. Die Prophezeiung und Vorbereitung auf das Ende der Welt zählt jedoch ganz gewiss nicht zu ihren ideologischen Anliegen. Wenn die Wissensgrundlage spärlich und vage ist, führen Klischees und Vorurteile rasch zu skurrilen Annahmen. Die lineare Gedankenkette „Sonderling-Sekte- Apokalypse“ ist ein klassisches Muster.
Ein Boot mit Migrationshintergrund?
Unterschiedliche Ansichten finden sich hinsichtlich der Herkunft des geheimnisvollen Gefährts. Während einige zu wissen glauben, dass es in gebrauchtem Zustand aus Asien nach Bodman gebracht und dort weitergebaut wurde, sind andere davon überzeugt, dass es von Grund auf in Bodman hergestellt wurde. Meinungsverschiedenheiten gibt es auch bei der Frage, ob es bereits 1953 oder erst fünf Jahre später, 1958, das erste Mal in Erscheinung getreten ist.
Das Ende kam jäh und unerwartet!
Wenn der Bootsbauer Gelegenheit gehabt hätte, sein Werk zu vollenden, wüßten wir heute, welchen Zweck er damit verfolgte. Aber soweit kam es nicht! Nach übereinstimmenden Aussagen der Zeitzeugen nahm sich der ca. 40-50 Jahre alte Schweizer irgendwann das Leben.
Wer danach sein Erbe verwaltete und später das Schiff veräußerte haben könnte, wird in den Zeitungsberichten nicht erwähnt. Es hieß lediglich, es sei zwei Jahre später durch Erwerb in den Besitz des damaligen Campingplatzbetreibers übergegangen, um bis zum Ende der Freizeitanlage dem Badespaß seiner Besucher zu dienen.
Das Foto rechts, auf dem zwei Kajakfahrer zu sehen sind, verdeutlicht die Proportionen.
Untergang auf dem Festland!
Mit der Umwidmung des Areals zum Landschaftsschutzgebiet und der Schließung des Campingplatzes im Jahre 1975 war auch das Ende des „U-Bootes von Bodman“ besiegelt. Dennoch dauerte es noch weitere fünf Jahre bis sich die örtliche Feuerwehr der inzwischen halb untergetauchten und als „Schandfleck“ empfundenen hölzernen Konstruktion annahm. Wie in ihrem Jahresbericht von 1980 zu lesen ist, holte sie das Wrack „auf Wunsch des Besitzers“ aus dem See, zertrümmerte es mit einem Bagger und verbrannte es an einem Ort weiter östlich Richtung Marienschlucht, der als „Badhencke“ bekannt ist.
Der Name jenes letzten Besitzers wird in der Chronik nicht erwähnt. War es noch der Betreiber des Campingplatzes oder der Freund eines Südkuriers-Lesers aus Binningen bei Hilzingen, der das Objekt für 700 D-Mark gekauft haben soll in der falschen Hoffnung, nach dessen Entsorgung in den Besitz eines Liegeplatzes für sein Segelboot zu kommen?
Die Entsorgung soll sich die Wehr laut Zeitungsbericht mit 100 Liter Bier vergüten lassen haben. Einen Hinweis darauf findet sich in ihren Annalen allerdings nicht. Doch das wäre auch nicht verwunderlich. Denn die Verkostung von zwei Fässchen Bier ist für eine löschfreudige Feuerwehr mit großem Brand sicher kein Ereignis, das sich lange ins historische Gedächnis der Mannschaft einprägt.