„Linzgau“ – Kiellegung auf dem Werftplatz am SeeEnde

Der Metallschiffbau am Bodensee ist zweifelsfrei mit folgendem Namen verbunden: Bodan-Werft Metallbau GmbH und Co. KG. Die Spezialwerft, mit Sitz in Kressbronn, war für die Bodenseeschifffahrt von großer Bedeutung, aber auch für die Zürichsee-Schifffahrtsgesellschaft, die ab 1968 insgesamt 5 Fährschiffe bestellte. 1927 wurde die erste Binnenseefähre für die neu eingerichtete Fährverbindung Konstanz-Meersburg in der Werft gebaut. Viele Motorschiffe in verschiedenen Größen wurden in dieser Werft geplant und gefertigt. Bekannte Fähren wie die Bodan, Hegau, Lindau, Konstanz, Meersburg, Baden, München, Stuttgart und die modernen Katamarane Constance, Ferdinand, Fridolin und Sonnenkönigin sind ebenfalls darunter.
Nicht zuletzt auch unser Personenschiff die Großherzog Ludwig hat ihren Stapellauf und den Tag des „Wasserns“ in Kressbronn erlebt.

Die meisten Schiffe für die Binnenseefahrt am Bodensee wurden auf der Bodan-Werft gefertigt – mit einer Ausnahme.
Die Bodenseefähre „Linzgau“ ist die einzige, in der fast hundertjährigen Geschichte, deren Bau nicht in Kressbronn ausgeführt wurde, sondern – in Ludwigshafen am Bodensee. Einmal mehr war die günstige Lage am SeeEnde ausschlaggebend für die Wahl einer „Freiplatzwerft“, da die Lokation leicht mit der Bahn erreichbar war, um alle wichtigen Schiffsteile an den See zu befördern. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Situation?

Der Fährbetrieb auf dem Bodensee wurde kurz nach dem Krieg wieder aufgenommen, zunächst mit den „Vorkriegsfähren“ Meersburg, Konstanz und Bodan. Das schnell wachsende Verkehrsaufkommen erforderte Anfang der 1950er Jahre jedoch zusätzliche Beförderungskapazitäten. Die Bodan-Werft in Kressbronn war bis 2018 die Bauwerft, die alle anderen Fährschiffe am Bodensee gebaut hat. Allerdings war sie in der Nachkriegszeit mit Schiffsneubauten komplett ausgelastet und es musste eine Alternative für die Montage eines weiteren Schiffes gefunden werden. Am 14. April 1951 wurde die Deggendorfer Werft in Niederbayern, Region Gäuboden/ Bayerischer Wald, mit dem Fährschiffneubau beauftragt. Unter der Planungsnummer 262 wurde der Schiffsrumpf in Deggendorf vorgefertigt und die Segmente, ordentlich nummeriert und sortiert, per Eisenbahn nach Ludwigshafen am Bodensee transportiert.

Direkt am Seeufer vor dem Hotel Adler entstand ein „Helling“ mit einer provisorischen Querslip. Unter einer Helling versteht man ursprünglich den Platz in der Werft, auf dem ein Schiff gebaut wird, genau genommen die schräg abfallende Fläche, auf der es anschließend beim Stapellauf zu Wasser gelassen wird. Üblicherweise ist es ein Längsslip, der hier wegen den uferparallelen Bahngleisen nicht zum Einsatz kam. In den Kuranlagen, wo im Sommer bevorzugt Feriengäste, Enten und Gänse lustwandeln, entwickelte sich eine turbulente Großbaustelle. Über Nacht hat die Kuranlage ihre idyllischen Reize verloren, sie wurden nun von donnernden Motoren, kreischenden Sägen und dröhnenden Niethämmern überlagert.

Im Eiltempo wurde das tonnenschwere Material, das mit Eisenbahnwaggons aus dem 500 km entfernten Bayerischen Wald angerollt kam, entladen, sortiert und an Ort und Stelle verbaut. Allein mehr als 80 Tonnen gewalztes Eisenmaterial, in zahllosen Teilen und Platten zerlegt, wurde Stück für Stück zusammengefügt, danach sorgfältig verschweißt oder genietet. Vielerlei Holzbretter, Arbeitsgeräte, Brechstangen, Kabel und Werkzeugkästen waren scheinbar wahllos um den sich formenden Schiffskörper zu finden. Den Schaulustigen bot sich ein chaotisches Bild, doch es zeigte sich schnell, dass alles dort platziert war, wo es der nächste Arbeitsschritt erforderte.
Die Montage der Bodenwrangen mit ihren Spanten, die Außenhaut und Schotten wurden in geregelter Reihenfolge montiert, bis sich die Rohgestalt der Gesamtkonstruktion immer mehr abzeichnete. Ingenieure, Spezialarbeiter und Hilfsarbeiter fügten geübt alle heranrollenden Einzelteile, unter dem Kommando des Projektleiters, zusammen.

Nach der vorläufigen Fertigstellung wurde der eiserne Gigant am 5. April 1952, mit einem feierlichen Akt, vom Stapel gelassen. Der eigentliche Stapellauf auf dem ungewöhnlichen „Querslip“ dauerte nur 10 Sekunden. Nach dem Kommando: „Achtung! Schrauben weg!“ lösten die bereitgestellten Arbeiter die Sicherungsvorrichtungen. Nach einem weiteren Kommando: „Achtung! Schlagt weg!“, entfernten sie die Patentvorrichtungen und der Koloss gleitet auf, mit reichlich Schmierseife versehenen, 11 Meter langen Holzbohlen in den Bodensee. Lag das Schiff bis vor kurzem noch schwerfällig auf dem Helling, präsentierte es sich jetzt als schmuckes Schiff in seinem zukünftigen Element.

Eine besondere Aktion, nachdem die „Linzgau“ bereits im Wasser lag, war der Einbau der schweren Dieselmotoren. Deutschlands größter Eisenbahnkran wurde hierfür an das Zollhaus geschoben, der mit seinen Stahlseilen mühelos 90 Tonnen schwere Lasten heben konnte. Er war nach Kriegsende bundesweit im Einsatz zum Heben und Bergen von zerstörtem Kriegsgerät, wie Panzer und LKW. Wie ein Ungetüm wirkte der auf 22 Achsen stehende Schwerlastkran der Bundesbahn neben dem Hafenkran, der selbst nur 4,5 Tonnen heben konnte. Die beiden über 10 Tonnen wiegenden, nagelneuen Schiffsmotoren wurden mit Leichtigkeit vom Bundesbahnkran über die „Linzgau“ gedreht und in das 3,5 mal 4 Meter große „Luk“ des Maschinenraums versenkt. Viele Schaulustige verfolgten diesen historischen Moment, der eine neue Phase im Endaufbau der „Linzgau“ einleitete.

Nach der erfolgten Fertigstellung, mit allem neuzeitlichem Interieur und technischem Komfort ausgestattet, wurde die Fähre am 27. Juli 1952 in Dienst gestellt. Sie wurde auf den Namen „Linzgau“ getauft. Namensgeber war die Landschaft nördlich des Überlinger Sees, in der auch die Stadt Meersburg liegt. Es wurden später noch zwei weitere Schiffe nach der in der Nähe liegenden Bodenseelandschaft benannt, die Hegau und die Thurgau.

28 Dienstjahre tat die „Linzgau“, ohne besondere Vorkommnisse, ihre Pflicht. 1980 wurde sie ausgemustert und die neue „Meersburg“ als Nachfolgerin in Dienst gestellt. Die „Linzgau“ war noch weitere 16 Jahre am Fährhafen Konstanz verankert, wo sie dem Segler-Verein Staad als Clubheim diente. Im Sommer 1996 wurde sie nach Fussach gebracht und verschrottet. Damit endete eine Episode einer ungewöhnlichen Produktion und Inbetriebnahme. Was für uns bleibt, ist die Erinnerung an einen provisorischen Werftplatz in der SeeEnd-Gemeinde, der schiffsbautechnische Laien, wie auch Experten, gleichermaßen faszinierte.

Technische Daten der „Linzgau“
Länge über alles49,50 Meter
Breite12,4 Meter
Tiefgang1,3 – 1,7 Meter (leer – beladen)
Zulässige Personenzahl600
Ladekapazität PKW30
Maschinenleistung770 PS (566 KW) MAN-Diesel
Antrieb2 Propeller

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