„Blaue Bohnen“ für Kirchgänger

„Dees giit’s doch nu in Santa Fe?“
„Nei, au bi uns am End vum See!“

Geografisch betrachtet liegt Bodman-Ludwigshafen im äußersten Westen des Bodensees und dementsprechend wild waren früher auch manche Bräuche. Auch wenn wir den guten alten Zeiten gelegentlich nachtrauern, möchten wir bei dieser Gelegenheit klarstellen: Wir wünschen uns nicht alle Vorkommnisse von damals zurück. Aber es gab sie und deshalb sollen sie hier auch erzählt werden.

Noch weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus konnte man junge Burschen mit einem lässig über der Schulter getragenen Gewehr durchs Dorf spazieren sehen, immer auf der Jagd nach schutzlosen Spatzen oder anderem kreuchenden und fleuchenden Getier. Es wurde unbekümmert in die Luft geballert, so als ob die Geschosse niemals wieder zur Erde zurückkehren und dort vielleicht auf Menschen treffen könnten. Fanden sich keine lebenden Trophäen, suchte man nach anderen Herausforderungen und Abwechslungen. Besonders beliebte Ziele waren Objekte, die einen Treffer akustisch untermalten, wie blecherne Werbe- oder Straßenschilder, Fensterscheiben von alten Schuppen, Schweinsblasen und Luftballons im Wipfel des Narrenbaums oder auch ganz gerne mal die Rathausglocke. Manch einer hat sich damals gewundert, warum das Glöcklein oft außer der Reihe bimmelte.

Corpus Delicti – Ehemalige Rathausglocke im Park beim Hafen mit den Spuren der Vergangenheit.

Der Besitz und das Tragen von sog. „sportlichen Langwaffen“, wie Flinten bis Kaliber 12 und Büchsen bis Kaliber 8 sowie selbstverständlich Luftgewehre jeglicher Größe, waren ohne Meldepflicht und Erwerbsschein für jeden erlaubt. Das 1946 im Rahmen der Entwaffnung der Bevölkerung von den Alliierten erlasse Verbot des Waffenbesitzes für Personen und Behörden war Anfang 1950 erstmals wieder gelockert worden, bevor dann im Mai 1952 die Bundesrepublik Deutschland mittels des Deutschlandvertrags wieder volle Souveränität erlangte und das Reichswaffengesetz erneut in Kraft trat. Erst 1972 wurde das Waffenrecht durch eine Grundgesetzänderung bundeseinheitlich in einem Gesetz neu und streng geregelt. Bis dahin konnte sich die männliche Jugend waffentragend im Dorf frei entfalten.

Dieser Gesetzgebung schienen vier Jugendliche im Ort keine große Bedeutung beigemessen zu haben. Ebenso wenig hatten sie offenbar ein Gespür dafür, wo der persönlichen Entfaltungsfreiheit Grenzen gesetzt sind. Und so erreichte das jugendliche Schießvergnügen an einem Donnerstag im September des Jahres 1976 seinen ultimativen Höhepunkt, als diesen nichts Besseres einfiel, als brave Christenmenschen beim Kirchgang unter Beschuss zu nehmen.

Dem kurzen Presseartikel vom 25.09.1976, auf den Andreas Eppler im Zeitungsarchiv der Gemeinde gestoßen ist, braucht nichts hinzugefügt werden.

Als Autor dieses Beitrags muss ich allerdings gestehen, dass ich ca. zehn Jahre zuvor, als 10 bis 12-jähriger, ein ähnliches Vergnügen am Schießen hatte. Mein Luftgewehr mit Knicklauf war zwar extrem mickrig, aber dennoch durchschlagkräftig genug, um damit die Tomatenproduktion meiner Großmutter zu vernichten. Alles begann damit, dass ich die geniale Idee hatte, wie sich bei der Tomatenernte Vergnügliches mit Nützlichem verbinden ließe. Dabei hatte ich die Szenen vieler Wild-West-Filme vor Augen, in denen durch einen gezielten Schuss Lampen von der Decke fallen, Hüte von Köpfen geschleudert und Zigarrenstummel aus Mundwinkeln gepustet werden. In gleicher Manier wollte ich Oma Agathes reife Tomaten von ihren Stielen befreien.

Das Schicksal wollte es, dass mir dies, zu meiner eigenen Überraschung, tatsächlich schon beim ersten Versuch perfekt gelang. Ein Schuss und die Tomate brauchte nur noch vom Boden aufgelesen zu werden, ganz unversehrt. Aber so sehr ich mich bemühte diese Meisterleistung zu wiederholen und dabei immer neue Ziele anvisierte, es wollte mir fortan einfach nicht mehr gelingen. Und so wurden nach und nach alle roten Früchte von meinen Kugeln durchlöchert. Da sie dies völlig reglos, ohne dabei zu zerplatzen oder auch nur zu zucken, über sich ergehen ließen, fiel mir das ganze Desaster erst auf, als meine Munition aufgebraucht war und ich mich aus der Nähe vergewissern wollte, wo denn nun meine Kugeln überall eingeschlagen waren.

Angesichts des großen Elends stellte ich mich gleich auf eine ordentliche Tracht Prügel ein. Aber die Sache ging wider Erwarten gut für mich aus. Da nämlich meine Großmutter in ihrer ersten Wut meiner nicht habhaft werden konnte, wollte sie die schlagkräftige Aufgabe meinem Vater übertragen. Dieser lehnte jedoch schmunzelnd ab mit der Begründung, dass sie sich in seinem Falle, als er noch Kind war, trefflich darauf verstanden habe und es deshalb auch heute ganz gut selbst erledigen könne. Dazu kam es dann aber nicht, weil am nächsten Tag Omas Ärger bereits verflogen war. Denn sie war zwar oft aufbrausend aber niemals nachtragend. Und außerdem ….. „Buebä sind halt Buebä! Wa will mer do machä?

Über den Autor

Schreibe einen Kommentar